VEREINTE  RELIGIONEN? Toleranz allein ist zu wenig gegen die Globalisierung des Fanatismus

Dr. Heinz Gstrein

(Wien, 30. August 2003)

Die Schreckensvision von globalem Terror mit religiösem Hintergrund, die sich vor zwei Jahren mit dem 11. September aufgetan hatte, wird immer brutaler zur grausamen Wirklichkeit.

In Indien und Indonesien, mit Bomben auf Touristen wie im tunesischen Djerba oder ihrer Entführung in der Sahara durch algerische Freischärler. Weder Afghanistan noch der Irak kommen zur Ruhe, in Palästina haben die islamischen Kämpfer von Hamas und Djihad den Friedensprozess gestoppt, wenn nicht überhaupt schon zu Fall gebracht. Wobei nicht vergessen werden darf, dass sich auch der israelische Anspruch zur Landnahme und Expansion im Heiligen Land - wie einst bei den Kreuzfahrern - auf die Bibel und damit letztlich auf religiöse Fundamente stützt. Fundamentalisten geben heute in allen Religionen immer stärker den Ton an. Es erscheint nur mehr eine Frage der Zeit, bis der weltweite Religionsterrorismus nach Russland auch unser westliches Europa ergreift, wo er in Nordirland sowieso längst zu Hause war. Bislang haben sich alle polizeilichen und militärischen Mittel zur Beendigung oder auch nur Eindämmung dieses Globalterrors als unzulänglich erwiesen. Gegen todesverachtende Selbstmörder scheint wirklich kein wirksamer Schutz möglich zu sein.

Es wird daher immer nötiger, den religiösen oder auch nur pseudoreligiösen Motiven der Terroristen auf ihrem eigenen Gebiet der Religion zu begegnen. Ihre Untaten sind nur zu stoppen, wenn ihre Beweggründe ausgeräumt werden. Das Eintreten der selbst von religiöser Gewalt gebeutelten Philippinen für einen interreligiösen Rat bei den Vereinten Nationen kann daher nicht genug begrüßt werden. Die kommende Generalversammlung möge sich danach richten!

Diese von den Philippinen aufgegriffene Initiative ist von Rev. Moon in seiner Eigenschaft als Gründer der „Interreligiösen und Internationalen Föderation für den Weltfrieden“ ausgegangen. Er hatte eine Erneuerung der Vereinten Nationen mit dem Ziel der dauerhaften Friedenssicherung vorgeschlagen. Zu diesem Zweck sollte die Generalversammlung der UNO durch einen interreligiösen Rat ergänzt werden. 

Mit diesem Reformvorschlag für die Vereinten Nationen steht Rev. Moon übrigens nicht allein. Auch der Rechtsphilosoph und Jesuitenpater Norbert Brieskorn forderte erst vor wenigen Tagen eine Stärkung der UN-Generalversammlung mit dem Ziel religiös motivierter Friedenssicherung. Er schreibt in der neuesten Ausgabe der in München erscheinenden angesehenen Zeitschrift „Stimmen der Zeit“, dass es gerade jetzt die Aufgabe der Vereinten Nationen sei „verstärkt zur Umsetzung und des Schutzes und der Förderung der Menschenrechte zu wirken“. Das betreffe einerseits die Religionsfreiheit, andererseits eine Zusammenarbeit zwischen den Religionen. Diese dürfe von den Vereinten Nationen nicht länger ausgeklammert werden, sollte hingegen in ihrem Rahmen eine eigene Plattform erhalten. 

“Krieg und Gewalt in den Weltreligionen” ist auch das Thema eines Buches, das der Herder Verlag (Freiburg im Breisgau – Wien – Basel) auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt vorstellt. Einerseits sei Pazifismus eine Erfindung der Religionen; andererseits gibt es immer wieder religiös motivierte Gewaltausbrüche. Dieser Zwiespalt ist das Thema des Buches.

Mit dem namhaften Religionswissenschaftler Adel Theodor Khoury als Herausgeber untersuchen die Autoren dieses Buches das Spektrum von Friedensethos und Gewaltpotential in den Weltreligionen und zeigen Wege auf, wie Krieg verhindert und ein friedlicher Dialog der Religionen ermöglicht werden kann Schwerpunkte sind Krieg und Gewalt im antiken Israel, in der Geschichte des Christentums, im Islam, Hinduismus und Buddhismus.

Aber auch diese unsere Veranstaltung hier in Wien ist nicht die letzte zu diesem hochaktuellen, ja ich möchte sagen für die Menschheit überlebenswichtigen Thema: Sogar der Vatikan entsendet eine hochrangige Delegation zum „Interreligiösen Kongress“, der am 23. und 24. September in der neuen kasachischen Hauptstadt Astana tagen wird. So nehmen daran der Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden, Erzbischof Renato Martino, und Erzbischof Pier Luigi Celata teil, Sekretär des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog. Der Heilige Stuhl hofft auf ein erfolgreiches Treffen und wünscht, dass es zum Frieden in der Welt und zur Verwirklichung der Menschenrechte beitragen wird. 

Nun, sich zu begegnen und dafür guten Willen mitzubringen, reicht noch nicht aus, um dem Frieden zwischen den Religionen und damit einem wahren Weltfrieden wirklich näher zu kommen. Es braucht dafür ein gründliches theologisches Konzept, das zwischen den Extremen von Exklusivitätsansprüchen für den eigenen Glauben sowie einer Gleichmacherei oder Vermischung der Religionen den rechten Weg findet. Bevor ich mit meinen eigenen Gedanken zu diesem Thema herausrücke, möchte ich ihnen zwei Texte vorstellen, die ich in diesem Zusammenhang besonders hilfreich gefunden habe. 

Der erste kommt aus Amerika und wurde von Dr. Frank Kaufmann am 4. April 2002 bei einer Konferenz von militärischen, strategischen und nachrichtendienstlichen Experten vorgetragen. Das zweite Dokument ist erst wenige Tage alt und kommt vom Zentralausschuss des Weltkirchenrates in Genf. Zunächst aber zu den Überlegungen in den USA, die eine Antwort auf den 11. September und die ihm folgende Kettenreaktion von Ereignissen darstellen. Darin heißt es unter anderem:

„Die Ereignisse des 11. September 2001 haben in den USA das Bewusstsein ihrer Verwundbarkeit geweckt und bei der amerikanischen Nationen verschiedene Reaktionen hervorgerufen. Sowohl die neuen Sicherheitsmassnahmen wie die militärischen Aktionen machten internationale Zusammenarbeit notwendig und haben so auch weltweite diplomatische und strategische Auswirkungen. Da die in den Angriff auf die Vereinigten Staaten verwickelten Terroristen aus religiösen Beweggründen gehandelt haben wollen, haben die USA notwendigerweise auch in ihre Reaktionen darauf religiöse Elemente einbezogen.“

Dr. Kaufmann erteilt Präsident Bush jun. und seinen Mitarbeitern gute Zensuren für ihr Bemühen, das Kind nicht mit dem Bad auszuschütten, sondern sich ins Einvernehmen mit gemäßigten islamischen Führern zu setzen. Was der amerikanische Fachmann aber weiter fordert, ist ein genaues Studium der Theologie und Geistesgeschichte des religiös motivierten Gewalttätigkeit, in diese Fall im islamischen Bereich:

„Die Rolle der Religion beim Terrorismus wie bei dessen Bekämpfung erfordert ein gründliches theologisches und historisches Wissen, genaue Kenntnisse von den klerikalen Strukturen und ihrer Doktrin, eine ‚Ekklesiologie’ der Weltreligionen könnten wir sagen. Religionsgelehrte und religiöse Führer sind dazu aufgerufen, diese Fragen zu begutachten. Die Vorstellung, eine Regierung könnte heute noch ihre internationalen Angelegenheiten bewältigen, ohne religiöse Fachleute und Entscheidungsträger zu konsultieren, wird immer undenkbarer. Wo das immer noch nicht geschieht, liegt die Schuld dafür aber nicht nur bei den Politikern und Diplomaten, sondern ebenso bei den Vertretern der Religionen.“ 

Die Bedeutung des interreligiösen Dialogs im Zeitalter der Globalisierung hat dann der Vorsitzende des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates (ÖRK), Aram I. Keschischian, Katholikos von Kilikien, zum Auftakt der noch laufenden Plenarsitzung am vergangenen Dienstag, den 26. August unterstrichen. Diesem Dialog und der Zusammenarbeit mit anderen Religionen müsse in der künftigen Arbeit des Weltkirchenrates hohe Priorität eingeräumt werden, sagte der orientalische Kirchenführer aus Libanon. Als eines der beiden Oberhäupter der Armenischen Apostolischen Kirche verwies auf den starken Einfluss der Religion auf die Weltpolitik und ihre oft ambivalente Rolle in Konfliktlagen. In einigen Ländern werde sie für politische Zwecke missbraucht, in anderen für die Rechtfertigung irreführender Ideologien und die Verfestigung ungerechter Strukturen eingesetzt. Das Wiedererstarken der Religiosität drücke sich manchmal in blindem Konservatismus und militantem Fundamentalismus aus, die weit reichende Gefahren mit sich brächten. Keschischian wörtlich: "Ein engstirniges und ausgrenzendes Verständnis von Religion gewinnt in mehr oder weniger allen Religionen an Boden".

In einer Welt wachsender Hoffnungslosigkeit sei es dringend erforderlich, dass die Religionen in einen Prozess kritischer Selbsteinschätzung und Selbsterneuerung eintreten, um solche negativen Aspekte der Religionen zu überwinden. Sie sollten gemeinsame Werte neu definieren und eine klare Vision für eine gerechte und zukunftsfähige Welt anbieten. "Jede Religion, die Macht anstrebt, verliert ihre Daseinsberechtigung", so Aram I. Religion sei Dienerin und Mittlerin von Gottes universalem Plan. Die Globalisierung führe immer mehr Menschen ungeachtet ihrer Religion, Rasse oder Kultur zusammen, betonte der seit über 25 Jahren im ÖRK engagierte Theologe. "Im globalen Dorf müssen wir zusammenleben". Jahrhunderte lang hätten Religionen ihre eigenen Gemeinschaften, ihr eigenes geistliches Ethos, ihre eigenen theologischen, ethischen und kirchenrechtlichen Mauern aufgebaut, um sich selbst zu schützen. Heute nehme eine neue "Kultur der Koexistenz" Gestalt an. 

Menschen verschiedener Religionen würden sich zunehmend ihrer gemeinsamen Verwundbarkeit und ihres gemeinsamen Schicksals vor Gott bewusst. Angesichts zunehmender Tendenzen zu Ausgrenzung, Unterdrückung und Polarisierung in pluralistischen Gesellschaften forderte Aram I. religiöse Gemeinschaften auf, "Brücken des Vertrauens" zu bauen und in Frieden und Harmonie mit dem Gefühl gegenseitiger Verantwortung und Rechenschaftspflicht zusammenzuleben. Als Reaktion auf globale Veränderungen hätten die christlichen Kirchen zwar begonnen, mehr Zeit und Energie in den Dialog mit anderen Religionen zu investieren. Vielfach seien sie jedoch nicht darauf vorbereitet, sich den konkreten Auswirkungen religiöser Pluralität in ihren Gemeinden zu stellen. Aram I. beschrieb das Zusammenleben mit Menschen anderer Religionen als "riskanten, aber hoffnungsvollen Prozess". Die Angst vor Religionsvermischung und Verrat des Evangeliums werde Christen dabei immer begleiten. 

Die Schweizerische Evangelische Allianz, ein Zusammenschluss eher fundamentalistischer Christen, hat jedenfalls erst letzten Sonntag die Fragen mit Nein beantwortet, ob Christen und Muslime an den gleichen Gott glauben und ob interreligiöse Feiern theologisch verantwortbar sind, auch wenn es um ein Friedensgebet geht. 

Ein interreligiöser Dialog sei nur möglich, wenn man die Wahrheitsfrage nicht ausblende und die Unterschiede zwischen den Religionen nicht einebne, heißt es in der Erklärung. Im Dialog mit Muslimen dürften diese Unterschiede nicht ignoriert werden. Die Stellungnahme der Schweizerische Evangelische Allianz, einem Verband von Christen aus Landes- und Freikirchen, wurde vom reformierten Pfarrer Jörg Buchegger und dem Islamspezialisten Andreas Maurer erarbeitet.

Als erstes halten die Autoren des Papiers fest, dass Allah, Gott, in den verschiedenen Religionen jeweils anders verstanden werde. Erst Mohammed habe die vorislamische, in verschiedenen Kulturen und Religionen verbreitete Bezeichnung gewissermaßen mit seinen Gedanken gefüllt und islamisiert. Dennoch hätten Christen und Juden in der arabischen Welt den Namen «Allah» zur Bezeichnung Gottes weiter gebraucht. Die Bezeichnung sei also kein Gottesname, sondern ein Gattungsbegriff. Über das Wesen Gottes sei damit nichts gesagt. Deshalb müsse um der Redlichkeit willen gefragt werden: «Von welchem Gott sprichst du, wenn du Gott sagst?»

Sodann gehen die Autoren auf die wichtigsten theologischen Unterschiede zwischen Christentum und Islam ein. Sie fragen nach der Gottesauffassung, der Lehre über Jesus Christus und der Erlösung des Menschen. Das Verständnis Gottes als eines dreieinigen Gottes (Trinitätslehre) werde von den gläubigen Muslimen besonders stark abgelehnt. Allah eine andere göttliche Person (wie Jesus oder den Heiligen Geist) zuzuordnen, sei für die Muslime eine der schwersten Formen des Unglaubens. Damit wäre aber für die Muslime auch die ewige Beziehung und Kommunikation der trinitarischen Liebe, an die Christen glauben, völlig unverständlich.

Abgelehnt werde als Folge davon auch die Menschwerdung Jesu als Gottes Sohn. Da er sich aus freiem Willen Gott zu unterwerfen hat, sei es für einen gläubigen Muslimen unvorstellbar, sich als ein mit dem Schöpfer versöhntes Kind Gottes zu sehen. Aus diesen Unterschieden werde klar, dass das öffentliche Beten zusammen mit Muslimen falsche Zeichen setze. Der Öffentlichkeit würde etwas vorgetäuscht, das nicht der Wirklichkeit entspreche. «Denn Christen beten im Namen von Jesus Christus zu Gott, der sich als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart hat. Doch solches Beten ist für Muslime, die ihrem Glauben treu bleiben wollen, Götzendienst und unvergebbare Sünde.»

Sie sehen also, dass Fundamentalisten auch bei den Christen zuhause sind. So lassen sich aber die Religionen nie versöhnen und werden immer neue Religionskriege ausbrechen, jetzt mit der Globalisierung erst recht. Denn sie bringt wie die Volkswirtschaften, Völker und Kulturen so auch die Religionen, die früher meist ihr Sonderdasein führten, zusammen und notwendig zum verhängnisvollen Zusammenprall, nur zu einer Globalisierung des Fanatismus, wenn wir dem nicht auch theologisch und in der religiösen Praxis vorbeugen.

Der armenische Katholikos Aram I, dem diese neuste Stellungnahme der Schweizer Evangelikalen vorlag, betonte daher vor dem Genfer Weltkirchenrat abschließend, dass die Christen und alle Religionen dennoch "ernsthaft und mutig" in den Dialog mit den anderen eintreten und dabei ihren Glauben bezeugen sollten. "Wir haben unterschiedliche Überzeugungen und erheben in unterschiedlicher Weise Anspruch auf die Wahrheit", sagte er. "Doch unsere gemeinsamen Ursprünge, unser gemeinsames Menschsein und unser Ziel treiben uns an, uns gemeinsam auf den Weg in Gottes Zukunft zu begeben". Das sind ganz fundamentale Aussagen, die über die vorhin von ihm selbst erwähnte Koexistenz hinausführen. Die Geschichte der Vereinten Nationen lehrt uns ja, dass Koexistenz noch lange keine Eintracht bedeutet.

Auch Toleranz allein ist zu wenig, sonst gerät auch der vorgeschlagene Interreligiöse Rat bei der UNO in Gefahr, dass in ihm die Religionsvertreter aneinander vorbeireden, sich bestenfalls gegenseitig ignorieren. Die Toleranzidee ist ja ein Kind der rationalistischen Aufklärung. Sie beruht darauf, dass alle Religionen gleich richtig und damit gleich falsch wären. Die berühmte Ring-Parabel Saladins in Lessings „Nathan dem Weisen“ bringt das klar zum Ausdruck: Alle drei Söhne haben vom Vater den gleichen Ring bekommen, aber keiner weiß, welcher der echte ist. Damit können wir keinen Fanatismus und keinen Terror überwinden. Richtiger wäre es zu sagen, dass jeder Glaube ein Stück von der vollen göttlichen Wahrheit besitzt, und dass diese Stücke richtig zusammengesetzt, oft da und dort theologisch abgeschliffen, dann auch zusammenpassen, ein harmonisches Ganzes, eine friedliche Einheit bilden. Das bedeutet „Schalom“ jedenfalls in der orientalisch-jüdischen Mystik der Kabbala und bei den ostjüdischen Chassiden

Auf diesem Bewusstsein einer gemeinsamen Wahrheit und Würde, könnte gegenseitige Achtung der Religionen voreinander, die über die Indifferenz der Toleranz weit hinausgeht, beruhen, statt ihrer gegenseitigen Ächtung, statt der Ausgrenzung des anderen als Sekte, wie das zur Zeit noch vorherrscht. Diese Achtung hat etwa letzten Mai der Moderator für Islamfragen in der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), Pastor Heinz Klautke, bei einer Tagung des von griechisch-orthodoxer Seite ins Leben gerufenen „Welt-Forums der Religionen und Kulturen“ auf der Insel Zypern gefordert. 

Eine religiöse Persönlichkeit, die meinen Werdegang wie kaum eine andere beeinflusst hat, der 1959 verstorbene griechisch-katholische Generalvikar für Österreich, Dr. Myron Hornykewitsch, hat in einem Gebet zum Marianischen Jahr 1953/1954 den Frieden der Welt und die Einheit im Glauben in direkten Zusammenhang gebracht: „Die hl. Gottesmutter, die in der byzantinischen Liturgie so inniglich verehrt wird, möge in diesem ihrem Marianischen Jahr die Gnade, dass alle eins und in Frieden seien für uns erwirken, und uns diesen Frieden und Einheit im Glauben bei ihrem Sohn erbitten“.

Damit ist aber nicht die Uniformität einer einzigen, einzig wahren Kirche oder Religionsgemeinschaft gemeint. Gerade der christliche Osten hat das Ideal der religiösen Pluralität nie aufgegeben. In der russischen Kirche kannte und kennt man die 
so genannte Jedinoverije, den Glauben an die Einheit, die allen äußerlichen Glaubensformen zugrunde liegt. In Sibirien fand und findet sich heute wieder bei Baschkiren und Udmurten die Tvojeverije, der Doppelglaube, das gemeinsame, gleichzeitige Bekenntnis zu Christentum und Schamanismus.

Konzepte einer solchen Religionsharmonie finden sich bereits im Judentum, obwohl dieses sonst eine der exklusivsten Religionen darstellt. Philo von Alexandrien, ein Zeitgenosse von Jesus Christus, lehrte die Übereinstimmung der hebräischen Bibel mit der alten griechischen Religionsphilosophie. Von ihm führt durch das jüdische Mittelalter eine gerade geistesgeschichtliche Linie zum großen Wiener Rabbiner Adolph Jellinek (1821-1893, ab 1856 Rabbiner in Wien), der einen „Menschheitsberuf“ darin erblickte, Jude zu sein. 

Der Kirchenvater Klemens von Alexandrien lehrte im 2. Jahrhundert in Analogie zu Philo, dass sich die christlichen Wahrheiten schon bei den antiken Philosophen fänden: Als ein „Logos Spermatikos“, als „ausgestreutes Gotteswort“. Das muss heute unbedingt auch für die indische und fernöstliche Frömmigkeit und Weisheit gelten. Spricht doch schon der uralte griechisch-orthodoxe Weihnachtshymnus davon, dass die Magier aus dem Osten von dem Stern, den sie verehrten, nach Bethlehem geführt wurden, um dort die Sonne der Gerechtigkeit zu finden. Was nichts anderes als den Wahrheitsgehalt der asiatischen Religionen unmissverständlich bekräftigt.

Ausgerecht der Islam hat das Ideal interreligiöser Harmonie dann am schönsten entfaltet, wovon allerdings die heutigen Islamisten am liebsten nichts mehr wissen möchten. Nach Mitteilung des Propheten Muhammad, Mohammed sagen wir, liegt allen heiligen Schriften ein versiegeltes „Himmelsbuch“ zugrunde, von dem auch „sein“ Koran nur eine Teiloffenbarung darstellt. In dessen Sure, also Kapitel 23 wird dieser im Vergleich zum Himmelsbuch beschränkte, eingeengte Charakter des Koran hervorgehoben, das Himmelsbuch hingegen als „Mutter der Schrift“ (Umm al-Kitab) bzw. als „Ur-Schrift“ (Asl al-Kitab) bezeichnet. Die spätere islamische Theologie erblickt in Muhammads Himmelsbuch das unerschaffene, präexistente und ewige Gotteswort; ein wichtiger Berührungspunkt zur Logos-Lehre der Griechen, Juden und Christen.

Ist der Koran auch selbst nur eine unvollkommene Abschrift der himmlischen Mutter der Schrift, so gilt er den Muslimen doch als die vollkommenste unter den im ewigen Ur-Buch gründenden, in Raum und Zeit geschichtlich und materiell greifbar gewordenen Offenbarungsschriften. Als solche werden der Pentateuch, also die fünf Bücher Moses, der Psalter, das Evangelium und das Awesta der iranischen Parsen anerkannt. Nicht berücksichtigt wurden die Muhammad unbekannten heiligen Schriften Indiens, Chinas und des sonstigen Ostasien. Hingegen hat es im Islam – gerade in Indien seit dem 19. Jahrhundert – nicht an Versuchen gefehlt, die Urschrift des Himmelsbuches durch Sammlung und vergleichende Gegenüberstellung der heiligen Schriften aller Buchreligionen möglichst weitgehend zu rekonstruieren. In dieser Tradition stand dann auch mein vor mehr als 20 Jahren unternommener Versuch, eine wenigstens teilweise Konkordanz vieler, verschiedener und doch mit einander verwandter Offenbarungstexte zu erstellen. (Alle meinen den einen Gott - Lesungen aus den heiligen Büchern der Weltreligionen, Herder Wien 1981).

Neuoffenbarungen nach seinem Auftreten wollte Muhammad hingegen nicht anerkennen. Er bezeichnete sich selbst als „Siegel aller Propheten“, ein Anspruch, den er allerdings – wie manches andere – aus der gnostischen Weltreligion des Manichäismus übernommen hat, die schon im 3. Jahrhundert entstanden war. Auch heute hören Pluralismus und weltreligiöser Ökumenismus der meisten christlichen Theologen dort auf, wo neue Religionen mit dem Anspruch von Offenbarungsträgern auftreten. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich ihre Zahl vervielfacht, doch ist es in unserer westlichen Welt bisher eigentlich nur den Bahais gelungen, als neue Religion anerkannt und auch gesellschaftlich akzeptiert zu werden. Im islamischen Raum werden sie hingegen noch immer verfolgt oder wenigstens diskriminiert. Dasselbe ist bei uns mit den anderen Neureligionen der Fall, die als Sekten abgestempelt und abgewertet werden. Es ist das ein religionswissenschaftlich ebenso fruchtbares wie religionspolitisch sehr affektgeladenes Thema. Alle sonst verdrängten Intoleranzen kommen da neu zum Vorschein. Wir dürfen es aber nicht ausklammern, wenn wir wirklich zur Religionsharmonie und zum Weltfrieden gelangen wollen, wenn der Interreligiöse Rat bei den Vereinten Nationen wirklich erfolgreich werden soll.