Friedrich Moshammer

Man l(i)ebt nur einmal

Jugend, Sexualität und Medien im AIDS-Zeitalter

James BondSchauplatz: ein exklusives Hotel unter Palmen, im Casino elegante Spieler am Roulettetisch. Schnitt. Schummrig beleuchtete Gassen in der exotischen Stadt. Plötzlich schattenhafte Gestalten im Hintergrund. In einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd kann sich der Held mit seinem Sportwagen gerade noch aus der Umzingelung retten. Schnitt. Im Luxus-Hotelzimmer wartet auf James Bond schon die nächste Falle: eine feindliche Agentin - intelligent, gefährlich (Pistole in der Tasche!) und natürlich schön. Schnitt. Bettszene: Wieder einmal hat James Bond eine gegnerische Agentin "außer Gefecht gesetzt". Bis zum nächsten Abenteuer - wieder mit einer anderen Frau, versteht sich, die ebenso intelligent, gefährlich - und natürlich schön sein wird.

Und die Wirklichkeit? Freitag nach Feierabend setzen sich drei junge Männer ins Auto. Fünf Tage Alltagsstreß in der Firma reichen wirklich. Action und Abenteuer sind jetzt angesagt. Im Kino steht James Bond auf dem Spielplan, und danach geht's erst richtig los: Wieder ins Auto, weiter in die Disco. Aufgewühlt von ohrenbetäubendem Rhythmus und grell pulsierenden Lichteffekten, genehmigen sich die drei noch ein paar Drinks. Die Mädchen an der Theke sind ok, tanzen und haben eine Menge Spaß mit den Burschen. Samstag drei Uhr Früh geht's heimwärts - mit den Mädchen natürlich, die sind ja cool und sagen nicht nein. Daß der rasante GTI eben mit Hundert durchs Ortsgebiet gefahren ist, muß denen ja imponieren, und echt coole Typen lassen sich von der Polizei nicht erwischen. Dann ein übergangsloser Wechsel zur Bettszene - auch fast wie im Film. Bei soviel Erfolg im "Aufreißen", könnte ja doch einmal jemand für länger als eine Nacht dabei sein. Bisher hat's leider nicht geklappt. Vielleicht beim nächsten Mal. Oder ist das doch der verkehrte Weg?

Vielleicht sagt gar jemand nein?- Das wäre zwar "uncool", aber man kann nie wissen. Sonst könnte alles fast wie im Film sein - wenn man nicht laufend im Fernsehen hören und in der Zeitung lesen müßte, wieviele Leute sich schon mit AIDS angesteckt haben, Sogar Film- und Sportstars waren schon darunter.

James Bond, die schillernde Leinwand-Kunstfigur aus den 60-er Jahren, ist nicht umzubringen, aber als realer Mensch aus Fleisch und Blut wäre er heute HIV-positiv, genauso wie manche seiner Gefährtinnen - vielleicht schon an AIDS gestorben. Auch Helden dieser Art sind in der wirklichen Welt des AIDS-Zeitalters nicht mehr unverwundbar. Viele der unterhaltungs- und abenteuersüchtigen Zeitgenossen, gerade auch junge Menschen, wollen es nicht wahrhaben, und die angebliche Wunderwaffe Kondom wiegt sie in falscher Sicherheit. "Safe Sex", kondomgeschützter "Sex ohne Risiko", der heute als als einzig sicherer Weg propagiert wird, funktioniert, realistisch gesehen, bestenfalls eine zeitlang - und mit der Verläßlichkeit des russischen Roulette. Ausschalten läßt sich das Risiko so nicht.

Alternativen, die einen ganz anderen Abenteuergeist voraussetzen, kommen in den Medien kaum - und wenn, dann meistens unter dem Etikett "reaktionär" oder "altmodisch-skurril" - zur Sprache. Medienidole aller Art führen die modernen Leitbilder vor. Liebe als "instant Sex" verkauft sich eben leichter als langatmige Liebesgeschichten, in denen sich einfach "nichts tut". Simple Strickmuster sind gefragt, auch in der Werbung: "Das Kondom schützt vor AIDS." Punktum. So einfach ist das - oder doch nicht?

Ohne die modische Zeitgeist-Brille betrachtet, sieht die Wirklichkeit anders aus: Die Tatsache der relativen Unverläßlichkeit des Kondoms bei der Schwangerschaftsverhütung ist eigentlich seit langem bekannt und in diversen Fachzeitschriften nachzulesen. Vom in jedem Fall fehlerlos produzierten und gehandhabten Kondom auszugehen, ist wohl mehr als unrealistisch. Wenn aber das Kondom schon als Schwangerschaftsverhütungsmittel unverläßlich ist, wie kann man glauben, daß es wirklich verläßlich gegen das AIDS-Virus schützen kann, das 450mal kleiner ist als ein Samenfaden und 365 Tage im Jahr ansteckend ist? Bei gleichbleibendem Lebensstil - ohne oder mit Kondom - ist es zwar mit Kondom sicherer, aber wer kauft sich beispielsweise ein Auto, das mit 5 prozentigem Risiko explodieren wird? Und im Unterschied zu einer ungeplanten Schwangerschaft ist AIDS ein tödliches Risiko.

Zur Zeit leben in Österreich Schätzungen zufolge etwa 16.000 Menschen, die mit dem HI-Virus infiziert sind. Der Großteil ist zwischen 16 und 35 Jahren alt. Und unter den Neuinfizierten waren 1994 bereits 25 Prozent Frauen, die sich fast alle bei ihrem Partner angesteckt haben, desssen riskanten Lebensstil sie entweder nicht gekannt oder nicht beachtet haben. Doch die Ideologie der Beliebigkeit des menschlichen Sexualverhaltens - solange es dabei nicht zu offen gewalttätig zugeht - wird unverdrossen weiter propagiert. Erstens ist sie bequem - niemand braucht sich wirklich zu ändern - zweitens ist unter anderem auch viel Geld im Spiel.

Nach dem naiven Mythos "sex is love" (Sex ist Liebe), wie ihn die Hippie-Ideologie der 60er Jahre propagiert hat, folgt nun der zynische Mythos "sex is fun" (Sex ist Spaß), der von Sexverkäufern aller Art geäußert wird. Demnach soll Sexualität einfach Unterhaltung sein. Sie soll aber vor allem ausgiebig, abwechslungsreich konsumiert werden. Mit den von Sex-Experten in Fernsehen und Radio gesendeten Ratschlägen soll Sex nun auch und vor allem Spaß machen. Schon Teenager werden mit einschlägiger Lebenshilfe in Jugendzeitschriften und im Jugenprogramm versorgt. Die unterhaltsam und manchmal in "jugendgerechter" Vulgärsprache daherkommenden Ratschläge vermitteln den Eindruck, daß ein verkorkster Griesgram ist, wer mit 15 noch keinen Sex gehabt hat.

Aber sexuelle Erfahrungen, das haben auch Psychologen erkannt, sind eben nicht wie Pizza essen oder ins Kino gehen: Jede sexuelle Erfahrung wird im Unterbewußtsein gespeichert und prägt den Menschen. Wenn die Sexualität verbunden mit echter Liebe erlebt wird, die auf der ganzen gegenseitigen Hingabe der Partner beruht, bindet die Erinnerung dieser Beziehung die beiden. Wenn die Sexualität hingegen mit egoistischen und kindischen Beweggründen erlebt wird, behindert sie die Entwicklung der Betroffenen und führt oft zu suchtartiger Abhängigkeit.

Das ist der Grund, warum eine unkontrollierte Sexualität dazu neigt, immer unkontrollierter und zwanghafter zu werden. Es ist heute bewiesen, daß Pornographie wie Suchtgift wirkt. Ein Suchtgift, dessen Verkauf weitgehend uneingeschränkt möglich ist, und dessen Erlös 25% des Umsatzes der Presse und 40% des Videoverkaufs ausmacht. Auch der modernen Computermedien, die noch viel mehr Möglichkeiten bieten sollen, beginnen sich die Sexproduzenten zu bemächtigen. Zwischen leichter und harter Pornographie bestehen dieselben Unterschiede wie zwischen leichten und harten Drogen: Man geht, ohne es zu merken, auf härtere über. Pornographie zerstört zahllose Paare, da süchtige Männer sich entweder für ihre Frauen nicht mehr interessieren oder ihre gewalttätigen und demütigenden Vorstellungen tatsächlich auf Kosten der Partnerin ausleben. Denn die Phantasie sucht neue, gesteigerte Stimulationen durch Umsetzung in die Tat. Daher begünstigt Pornographie auch die Entwicklung der Sexualkriminalität.

Bestärkt durch die "Sexinflation" in den Medien, glauben viele, daß häufige Liebeserlebnisse und sexuelle Erfahrungen der beste Weg sind, lieben zu lernen. Dieser Logik zufolge müßte es heißen: " ... je öfter ich sexuelle Beziehungen habe, und das mit möglichst vielen verschiedenen Partnern, umso besser kann ich lieben." Diese grundlegende Lebenseinstellung wird auch von zahlreichen Jugendzeitschriften vertreten.

In Wirklichkeit sind die "Verführer oder Verführerinnen" Menschen, die sich unfähig fühlen, wirklich zu lieben, und die ihre affektive Leere wettmachen, indem sie jemanden beherrschen oder sogar verletzen wollen. Außerdem wird durch die "sexuelle Wanderschaft" die Kraft der Gefühle abgestumpft. Aufgrund des Erinnerungsvermögens der sexuellen Emotionen durchqueren die Erinnerungen an vergangene sexuelle Erlebnisse die jetzigen und zukünftigen Beziehungen und verhindern dadurch die Ausschließlichkleit und Intimität, die ganz wesentlich zu einer glücklichen Paarbeziehung gehört.

Der deutsch-amerikanische Psychologe Erich Fromm schreibt: "Die sexuelle Lust kann durch Angst vor der Einsamkeit erregt werden, durch Hoffnung zu erobern oder erobert zu werden, durch Eitelkeit, durch den Wunsch zu verletzen, ja sogar zu zerstören, genauso wie durch die Liebe. Es scheint, daß jedes heftige Gefühl das Privileg besitzt, sexuelle Lust zu erregen und sie sich zu eigen zu machen, wobei die Liebe nur eines unter zahlreichen ist. Da die meisten Leute sexuelle Lust und die Vorstellung von Liebe im Zusammenhang sehen, kommen sie leicht zu dem irrtümlichen Schluß, daß sie in einander verliebt sind, wenn sie sich physisch zueinander hingezogen fühlen" ("Die Kunst des Liebens").

Den Jugendlichen zu schmeicheln, indem man ihnen vortäuscht, daß ihr Drang nach sexuellen Erlebnissen Liebe seien, bedeutet, daß man sie von anderen Arten von Beziehungen ablenkt, die ihrerseits die Heranreifung ihrer Charaktere begünstigen würden, nämlich Freundschaft, Teamgeist, Respekt voreinander Seit den Sechziger Jahren glaubt man, das jugendliche Alter sei die ideale Zeit für sexuelle Erfahrungen. Mit Gefühlen wie Unverletzbarkeit, Allmacht und "cool" sein, typisch für dieses Alter, spielt unsere Gesellschaft alle narzißtischen, unsozialen und selbstzerstörerischen Triebe hoch, statt die Jugendlichen auf ihrem Weg zur sozialen Reife zu unterstützen. Wir leben in einer "jugendzentrischen" Gesellschaft.

Nach einer deutschen Untersuchung haben heute bereits zwei Drittel der Mädchen und 59 Prozent der Jungen mit 17 Jahren "das erste Mal" erlebt. 1980 waren es erst 56 Prozent der Mädchen und 38 Prozent der Jungen. Dies ergab eine Studie vom April 1995 im Auftrag der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung.

Die sexuellen Erfahrungen sind tiefgehend destabilisierend für die Jugendlichen. Sie werden in eine Gefühlswelt hineingeschleudert, die sie nicht imstande sind zu bewältigen. Es wird in ihnen die Illusion geweckt, daß sie fähig sind zu lieben, obwohl sie in der sexuellen Erfahrung viel mehr die Bestätigung ihrer Männlichkeit bzw. ihrer Weiblichkeit suchen, als das Glück des anderen.

Allerdings deutet vieles darauf hin, daß nicht zuletzt sozialer Druck zusammen mit persönlicher Unsicherheit zu dieser Verhaltensänderung geführt hat, die Jugendlichen also durchaus auch für andere Möglichkeiten offen sind. Z.B. wurde in einer Umfrage des Amerikanischen Familienplanungsinstituts den jungen Mädchen über 16 Jahren, die schon sexuelle Erfahrungen hatten, die Frage gestellt, über welches sexuelle Thema sie mehr informiert werden wollen. Eine Mehrheit von 81% antwortete: "Wie kann ich NEIN sagen, ohne den anderen zu verletzen?"

Unter diesen Voraussetzungen kann man sich fragen, worin die Logik der Aufklärungsprogramme liegt, die sich an Jugendliche unter 14 Jahren so heranmachen als ob diese sexuell aktiv wären oder es sein sollten?

In den romantischen Hollywood-Filmen wird Liebe mit Leidenschaft gleichgesetzt. In der heutigen Auffassung ist Liebe ausschließlich ein Gefühl. Lieben heißt, sich verliebt "fühlen", ein Erlebnis, das einen aus heiterem Himmel trifft, ohne daß man darauf einen Einfluß hat, und dieses Gefühl verschwindet auch wieder genauso mysteriös, wie es gekommen ist. Das ist auch die Dramaturgie, der heute die meisten Liebesszenen in Spielfilmen und Fernsehserien folgen: Ein Blick, und die beiden sind verliebt ineinander, und kurz darauf, völlig übergangslos, folgt oft schon die Bettszene. Besonders Jugendlichen prägt sich dieses Verhaltensmuster ein.

Dieser Betonung der Leidenschaft steht eine andere Auffassung der Liebe gegenüber: Liebe, nicht nur als ein Gefühl, sondern auch als ein Willensakt und die Fähigkeit, sich bedingungslos für das Glück des andern hinzugeben, indem man seine eigenen egoistischen Gefühle überwindet. Viel weniger Filme folgen diesem Muster und noch weniger sind auch erfolgreich beim breiten Publikum.

Im wirklichen Leben erfolgreicher Ehen zeigt sich ein gemeinsames Merkmal: Die Tiefe des Engagements der Liebe bestimmt die Dauerhaftigkeit der Beziehung. Die Leidenschaft hingegen ist stets veränderlich. Eine Ehe kann nicht immer Honeymoon sein; wenn aber das gemeinsame Engagement da ist, lassen sich auch Krisen überwinden. Ehe- und Familienberater können davon ein Lied singen. Das österreichische Familienministerium gibt einigen von ihnen die Möglichkeit, in ansprechend gestalteten Broschüren für Paare solche in den Massenmedien vernachlässigten Aspekte zur Sprache zu bringen. Typisch aber auch hier das junge Paar, dessen Geschichte den Rahmen der Broschüre für junge Menschen bildet: Die beiden können sich - auch angesichtsdessen, daß sie ein Kind erwarten, - bis auf weiteres nicht dazu entschließen, zu heiraten.

erste Erfahrung Erich Fromm schreibt: "Liebe sollte vor allen Dingen ein Willensakt sein, die Entscheidung, sein ganzes Leben einem andern Menschen zu widmen. Liebe ist nicht die Kraft eines Gefühls, sondern einer Entscheidung, eines Urteils, eines Versprechens." Jeder sehnt sich nach einer exklusiven Liebe mit absoluter Verbindlichkeit. Jeder Jugendliche träumt von einem idealen Partner, mit dem er sein ganzes Leben teilen kann. Wir möchten jemanden das ganze Leben lieben, und wenn möglich für die Ewigkeit. Unsere erste Erfahrung in der Liebe gibt uns das Gefühl der Ewigkeit.

Der junge Mensch hat jedoch noch nicht die Reife, um sich ein Leben lang zu binden. Sein Liebesideal bleibt in seiner Vorstellungswelt, während die leidenschaftliche Liebe in seinem Körper "tobt". Das Ideal der Enthaltsamkeit vor der Ehe, das in der Öffentlichkeit so leicht als gestrig abgetan wird, macht daher sehr wohl Sinn. Es hält das Ideal der Liebe aufrecht, indem man sich auf "Vorläufiges" erst gar nicht einläßt.

In seinem berühmten Buch "Die Kunst des Liebens" schreibt Erich Fromm, daß die Liebe eine Kunst ist, die wie jede andere Kunst erlernt sein will. Es ist mit Sicherheit die schwierigste Kunst und auch die wichtigste, die der Mensch erlernen muß. Vor allem in der Familie muß man die Kunst des Liebens lernen. Die Familie ist die unersetzbare Schule der Liebe.Unsere erste Erfahrung der Liebe machen wir in unserer Familie, und hier sollte jeder Mensch auch die Fähigkeiten lernen, um selbst eine stabile und glückliche Familie aufbauen zu können. Wer sich dazu entschließt, lebt sein Leben nicht "Second Hand", als Unterhaltung und Zeitvertreib, wie auf der Mattscheibe, sondern als wirkliches Abenteuer mit ganzem Einsatz, aber auch mit der Aussicht auf ganz reales Glück aus erster Hand.