Vorurteile in Zeiten
der Globalisierung
Prof.
Dr. Helmut Lukas - Österreichische Akademie der Wissenschaften
"Wir haben da eine Grundtradition, eine Reihe von Institutionen, die auf ihr beruhen, und verschiedene Gruppen, die nicht nach Art der Grundtradition, sondern ihren eigenen Traditionen gemäß leben wollen. Diese Gruppen sind nicht Mörder und Totschläger, sie sind Indianer, Gruppen von Negern, religiöse Sekten aller Art, traditionell denkende Chinesen und so weiter. Ihre Lage ist nicht leicht. Sie stoßen auf eine Mauer von Verboten, Gesetzen, Schreckreaktionen, dogmatischen Behauptungen und einfachem Staunen: wie können vernünftige Menschen so unvernünftige Wünsche haben? (oder umgekehrt, aber nicht zu oft offen ausgesprochen: was kann man von Indianern, Negern, Frauen schon anderes erwarten!) Die Frage ist: was kann ein bestimmter individueller Mensch, zum Beispiel ein Rationalist, in dieser Situation tun?" (Feyerabend 1980:157)[1]
Richterliche
Versuche, fremde Wirklichkeiten zu deuten:
Am 31.
März 1995 berichtete die "Zeit" über ein Asylurteil in Freiburg. Der
Asylberwerber, über dessen Antrag der Freiburger Richter zu entscheiden hatte,
kam aus Pakistan, war Arztsohn und Katholik und bat um Asyl in Deutschland,
weil es in Pakistan Christenverfolgung gebe und er Folter und Haft zu
befürchten habe. Der Richter lehnte die Bitte des Pakistani mit folgender
Begründung ab:
"...kann
er (der Kläger) nicht als glaubwürdig angesehen werden. Dabei ist zu
berücksichtigen, daß Täuschungen und Fälschungen in Pakistan - wie auch in
anderen orientalischen Ländern - derart häufig verbreitet und üblich sind, daß
Unehrlichkeit geradezu als ein sozialtypisches Phänomen zu betrachten ist,
welches dort nicht in gleichem Maße einem gesellschaftlichen Unwerturteil
unterliegt wie in den von christlichen Traditionen noch stark beeinflußten
europäischen Ländern..." (zit. n. "Die Zeit", 31.3.1995:65)
Pakistanische
Katholiken lügen mithin, weil dies in Pakistan und anderswo im weiten Orient,
anders als im ehrlichen christlichen Europa, eben sozialtypisch ist.
1.
Ausgangsproblem: ethnische Konflikte und Diskriminierung
Seit den
90er Jahren erschütterten ethnische bzw. religiöse Konflikte nicht nur den
Balkan und den Kaukasus, sondern entfalteten auch in weiten Teilen des
asiatischen Kontinents ihre Sprengkraft. Der israelische Militärhistoriker
Martin van Creveld zählte zwischen 1945 und 1990 rund 160 bewaffnete Konflikte[2]
(ohne Kämpfe der Spanier gegen Basken, Franzosen gegen Korsen, usw.) (Andere
Untersuchungen gehen von 200 bis 300 bewaffneten Auseinandersetzungen aus, je
nach Beurteilung und Konfliktform.). Von diesen sind drei Viertel der Kategorie
low intensity conflicts (LIC) zuzuordnen. Sie brechen eher in
"weniger entwickelten" Teilen der Welt aus; in den wenigsten Fällen
sind auf beiden Seiten reguläre Streitkräfte daran beteiligt; es gibt keinen
Einsatz hochentwickelter Kollektivwaffen. Flugzeuge, Panzer, Raketen, schwere
Geschütze und andere komplizierte Waffensysteme spielen bei "low intensity
conflicts" eine marginale Rolle. Die Gesamtzahl der Toten in den
sogenannten "low intensity conflicts" beläuft sich seit 1945 auf
zirka 20 Millionen. Sehr oft handelt es sich bei den nichtmilitärischen LIC um
ethnische oder religiöse Spannungen, die in gewaltsamen Auseinandersetzungen
mündeten (kollektive Identität + Ansprüche: Anerkennung, Autonomie, gegen
Bevormundung und wirtschaftliche/politische Diskriminierung, Kampf um
Ressourcen etc.). Diese nicht-trinitarischen Kriege nehmen rasch zu[3].
Für
Creveld ist die Vorstellung, der Krieg sei – in Ergänzung zu Clausewitz – die
Fortsetzung der Religion, auch in ihren extremsten Formen, längst noch nicht
tot. Religiöse Einstellungen, Überzeugungen und Fanatismus würden künftig eine
größere Rolle bei der Motivation eines bewaffneten Konfliktes spielen als in
den letzten 300 Jahren[4] Nicht-trinitarische Kriege zeichnen sich
durch den Angriff auf symbolische Objekte aus (vgl. Balkankrieg in Bosnien ab
1992: Vergewaltigungen andersgläubiger Frauen, Zerstörung von Moscheen und
Gotteshäusern). Verstärkter Einsatz von verbotenen Waffen (Gas, Biowaffen), da
diese besonders billig sind.
Beispiele
für bewaffnete Konflikte (kein Anspruch auf Vollständigkeit!):
Im
Gefolge der Auflösung der Sowjetunion und der (Wieder-)Entstehung unabhängiger
Staaten in Osteuropa kam es zu einer ganzen Reihe ethnisch-religiös motivierter
Konflikte (wobei das multiethnische Kaukasus-Gebiet besonders stark betroffen
ist). Ferner: Konflikte im Gefolge der Teilung Indiens nach dem 2. WK. Jüngeren
Datums: Ayodhya-Konflikt zwischen Hindus und Muslimen[5],
die Bombay-Unruhen etc. Der Bürgerkrieg in Biafra, die Tutsi-Hutu-Massaker in
Burundi und Ruanda, die tribalen Konflikte in Angola, der Kampf der
Tamil-Tigers gegen die von buddhistischen Singhalesen dominierte Regierung in Sri
Lanka. Die sog. „Rassenunruhen“ in Malaysia (1969) sowie die extrem blutigen
Massaker in Indonesien (1965/66) mit einer astronomischen Opferzahl (zwischen
0.5 und 1 Mio. Tote!!!). Die immer wieder aufflackernden Kurdenaufstände
(Türkei, Irak, Iran). Der jahrzehntelange Krieg zwischen den
arabisch-islamischen Fundamentalisten im Norden Sudans und den
christlich-animistischen nilotischen Schwarzen des Südens (begleitet von
Hunger- und Flüchtlingskatastrophen). Die jüngsten Vertreibungen und Massaker
an der schwarzen Bevölkerung in Dharfur (Westsudan) durch arabische Milizen
(mit stillschwiegender Billigung durch die Regierung in Khartoum).
Die
Arabisch-lsraelischen Kriege und der chronische Palästina-Konflikt. Kriege in
den Städten Beirut, Sarajevo und Mogadishu. Gegen Ende eines 14-jährigen
Bürgerkrieges (August 2003) war die Hauptstadt Monrovia vom Rest des Landes
(Liberia) isoliert und von fremden Friedenstruppen besetzt. 1991 Massenflucht
von 200.000 Muslimen Burmas / Myanmars nach Bangladesh; 120.000 Hindus mussten
Kaschmir verlassen. Zypern besteht bis heute aus einem griechischen und einem
türkischen Teil; Tibet wird in einer Art internem Kolonialismus von Beijing aus
bevormundet. West Neu Guinea wird von nicht wenigen Papua als unrechtmäßig
annektierte Provinz angesehen; ähnlich sehen viele Katholiken ihr Nordirland
als Kolonie Großbritanniens. Separatisten gibt es es in Quebec (Kanada) wie
auch im Baskenland (Spanien).
Auch im
hochentwickelten Japan gibt es das im Ausland kaum bekannte Probleme mit der
koreanischen Minderheit; ähnlich unbekannt sind die Probleme Schwedens mit der
finnischen oder die Brasiliens mit den marginalisierten Indianern. Praktisch
nirgends gibt es so etwas wie eine an das Aufklärungsideal erinnernde
universelle Republik, die von Staatsbürgern bewohnt ist, die einzig und allein
ihrer Regierung und nicht irgendeiner Ethnie gegenüber loyal sind (state
loyalty vs. primordial loyalty).
Im Mai
1998 gab es in Indonesien die schwersten Unruhen seit dreißig Jahren, und sie
stürzten das Land teilweise in Chaos und Anarchie. In der Hauptstadt Jakarta
zogen Zehntausende plündernd durch die Straßen, zündeten Häuser und Autos an,
zahlreiche chinesische Frauen wurden vergewaltigt[6].
Für die einfachen Menschen, Angehörige des 90 Prozent umfassenden muslimischen
Anteils an den 200 Millionen Indonesiern, die mit einem Dollar am Tag auskommen
müssen, waren die Chinesen, die nur 8 Millionen Menschen zählen, aber den
größten Teil der Volkswirtschaft beherrschen[7],
mitschuldig an der Wirtschafts- und Währungskrise. Es waren fast ausschließlich
chinesische Geschäfte, die geplündert oder in Brand gesteckt wurden[8].
Die Chinesen, unter ihnen viele Christen, waren und sind auch nach der Ablöse
Präsident Suhartos besonders gefährdet, da sie eng mit ihm und seiner durch
Korruption ungemein reich gewordenen Familie zusammenarbeiteten, oft die
‘Paten’, die Ideen- und Kapitalbringer, waren. Zudem wurde den
chinesischstämmigen Geschäftsleuten vorgeworfen, sie hätten ihr Vermögen ins
Ausland geschafft und so die ökonomische Misere verschlimmert. 1999 sind
ethnisch-religiöse Spannungen, die lange für überwunden galten, von neuem
hervorgebrochen.
Besonders
seit dem Zusammenbruch des 32 Jahre dauernden Suharto-Regimes häufen sich in
Indonesien gewaltsame Regionalkonflikte. Besonders nach der Loslösung von
Osttimor brachen fast überall in Indonesien gewaltsame Konflikte aus. Der
Großteil dieser Gewaltausbrüche wird von vielen Beobachtern mit schon lange
bestehenden ethnischen und religiösen Differenzen „begründet“. Indonesien ist ein multiethnischer Staat, in dem
es genau genommen keine ethnische Mehrheit gibt. Dennoch dominieren die Javaner
– Vertreter der zahlenmäßig größten ethnischen „Minderheit“ (ca. 45 %) – das
politische Leben in Indonesien. Indonesien, das von der „Asienkrise“ am
schlimmsten getroffen wurde, drohte Ende der 90er Jahre zu einem
„zweiten Jugoslawien“ zu werden: Dem riesigen, aus mehr als 17.000 Inseln
bestehenden Land, in dem hunderte Ethnien und Sprach- sowie unterschiedlichste
Religionsgemeinschaften nebeneinander existieren, drohte der Zerfall:
(1) Die mit Abstand
gewaltsamsten Auseinandersetzungen fanden auf den Molukken statt. Seit ihrem
Ausbruch in Ambon Anfang 1999 haben über 5.000 Menschen ihr Leben verloren; von
1,1 Mio. Molukkern waren über 500.000 auf der Flucht, davon ca. 300.000
Christen und ca. 200.000 Moslems.
(2) 1997, gegen Ende
des Suharto-Regimes kam es im Sambas-Gebiet (West-Kalimantan), zu
gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen maduresischen Immigranten auf der
einen Seite und Dayak sowie Malaien auf der anderen Seite. Diese Unruhen
kosteten hunderten Menschen das Leben und führten zu einer Flüchtlingswelle (mehr
als 50.000 Maduresen). Diese ethnischen Spannungen kulminieren immer wieder
(auch 1999 und danach) in gewaltsamen Auseinandersetzungen mit zahlreichen
Toten, Schwerverletzten und Flüchtlingsströmen.
(3) Dazu kamen
Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen, in welchen
größere Teile der Bevölkerung einer Region/Provinz sich auf der Grundlage
ethnischer - und manchmal auch religiöser - Motive gegen die Zentralregierung
auflehnten und mehr oder minder offen autonomistische oder separatistische Ziele
verfolgten, wie z. B. im früheren Ost-timor (heute unabhängig) oder in Aceh
bzw. Westneuguinea (Papua).
Seit
Jänner 2004 ist im islamisch-malaiischen Süden Thailands ein rasantes
Ansteigen ethnisch-religiös motivierter Gewalt zu verzeichnen.
Flüchtlingsdramen:
Um die
Ursachen dieser Konflikte zu erkennen und in Zukunft gewaltsame
Auseinandersetzungen zu vermeiden, sind wir gezwungen, uns v.a. mit folgenden
Fragen zu beschäftigen:
im Rahmen
einer zunehmenden Vernetzung der Welt und der damit einhergehenden
Verallgemeinerung von Strukturen der Ungleichheit (Globalisierung), der
Entstehung von kultureller Vielfalt einerseits und kultureller Hegemonie
andererseits.
Ethnizität
– Ethnozentrismus – Globalisierung
In
der modernen Diskussion, die den infolge von Migration, Urbanisierung und
Globalisierung verstärkt auftretenden interethnischen Kontakten,
multiethnischen Gemeinschaften und deterritorialisierten „Ethnien“ Rechnung
trägt, ersetzt der Begriff der Ethnizität immer mehr den der
ethnischen Identität:
Ethnizität
– Ethnozentrismus – Abgrenzung:
Beispiel:
Im Hinduismus beispielsweise fungiert die Kuh als sakrales Symbol, das die
Solidarität und den Gruppenzusammenhalt der Hindus stärkt. Beim Gedanken, daß
eine Kuh von einem Muslim geopfert bzw. geschlachtet werden soll, sind
Hindu-Männer oft zu Tränen gerührt, und zwar selbst dann, wenn die Opferung /
Schlachtung in strenger Abgeschiedenheit durchgeführt wird. Der Anblick einer
Kuh, die öffentlich zu einer Opferung geführt wird, versetzt Hindus oft in
Raserei, die unter Umständen zu blutigen Unruhen führen kann. So wurden
beispielsweise in einer indischen Provinz im Jahr 1931 elf Muslime durch eine
Hindugruppe einfach aus dem Grund getötet, weil ein muslimischer Landbesitzer
eine Wildbretkeule an einen seiner Pächter und die dort lebenden Dorfleute
geschickt hatte, und die Hindus sofort das Schlechteste annahmen und das
Wildbret mit Rindfleisch verwechselten[12].
Die Globalisierung
begann genau genommen bereits im 16. Jh. mit der Expansion des Kapitalismus
im Rahmen des beginnenden Kolonialismus und nutzte Ethnozentrismus, Rassismus
und zuletzt auch Nationalismus als systemstabilisierende Ideologien (vgl.
Immanuel Wallerstein)[13]. Produktion und Konsumtion aller Länder
wurde mehr und mehr kosmopolitisch gestaltet. An die Stelle der alten lokalen
und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit trat ein allseitiger
Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen untereinander. Darauf
reagierte z.B. der aus Indien stammende Sozial- und Kulturanthropologen Arjun
Appadurai, indem er davon ausging, daß es auf dieser Welt keinen Kontinent mehr
gibt, wo es keine Chinesen, oder Araber, oder Inder gibt. Überall gibt es
Sprachgruppen, Religionsgruppen, die auf allen Kontinenten zuhause sind. Daher
sind wir, so Appadurai, heute mit einer vielfältigen globalen Landschaft von
ethnischen und interethnischen Beziehungen und Vernetzungen konfrontiert. Das
erfordere ein neues Verständnis dieser ethnischen Gruppen im Rahmen der sog. „Ethnoscapes“
( = deterritoriale Räume bestimmter ethnischer
Gruppen).[14]
Das
Spektrum von Merkmalen, die Inhalt bzw. Vorwand für Vorurteile bzw. Feindbilder
abgeben können, ist nahezu unbegrenzt und umfasst neben „Anderssein“ oder
persönlichen Haltungen und Eigenheiten v.a. die Zugehörigkeit zu Fremdgruppen
(Sie-Kategorie im Gegensatz zur Wir-Kategorie), die sich auf folgende
Kategorien beziehen können:
Die
Vorurteile gegen national, ethnisch, „rassisch“, kulturell oder religiös
definierte Fremdgruppen scheinen nicht nur am weitesten verbreitet zu sein,
sondern führen auch zu besonders
intensiven Formen der politischen Ein- und Ausschließung. Wir
wollen uns daher im folgenden auf das Thema ethnische
(incl. nationale, rassische etc.) bzw. religiöse Vorurteile und den
Ethnozentrismus bzw. religiösen Fundamentalismus konzentrieren.
2.
Ethnozentrismus
Wenn
wir in einer Kultur ( = gelerntes und
intergenerational weitergegebenes System gemeinsamer Ideen, Werte und Normen;
symbolische Deutung der Welt) aufwachsen, lernen wir die Welt durch unsere
Brillen zu sehen („kultureller Astigmatismus“[15],
Kultursubjektivismus). Die Lebensweise einer anderen Ethnie durch unsere
Brille (d.h. nach den Verhaltensnormen und Wertmaßstäben der eigenen Kultur)
zu betrachten und zu beurteilen ist Ethnozentrismus. Da wir alle in
eine Kultur hineinsozialisiert („enkulturiert“) worden sind und nicht anders
können, als uns der erlernten Begriffe, Kategorien, Wertmaßstäbe und Deutungen
zu bedienen, sind wir alle mehr oder weniger ethnozentristisch, d.h. wir sehen
in der eigenen Lebenswelt das Zentrum von Welt überhaupt[16].
D.h.: Bewußt oder unbewußt wird unsere Wahrnehmung, unsere Einschätzung und
unsere Haltung gegenüber Angehörigen einer anderen Kultur in hohem Maße durch
die in unserer eigenen Kultur erlernten Wahrnehmungs-, Wertungs- und
Verhaltensmuster gesteuert. Genau genommen kann daher jedes kulturelle
Fremdphänomen nur in den Begriffen und Kategorien der eigenen Kultur
wahrgenommen, verstanden und beurteilt werden.
Sich
des eigenen kulturellen Astigmatismus’ bewußt zu werden und diesen zu
analysieren, ist ein schwieriger und schmerzhafter Prozeß. Obwohl wir niemals
unsere Brillen absetzen und die Welt so sehen können, „wie sie wirklich ist“,
oder durch die Brillen eines anderen sehen können, können wir wenigstens sehr
viel über unsere Regeln lernen.
Universal
verbreiteter Kultursubjektivismus: Mit einiger geistiger Anstrengung können wir
beginnen, uns unserer Codes bewußt werden, die unserem Wahrnehmen, Erkennen,
Werten und Verhalten zugrunde liegen und auf diese Weise unseren
Kultursubjektivismus zu überwinden (verstehende Annäherung an fremdkulturelle
Wirklichkeiten durch Relativierung des eigenkulturellen Standpunktes > REFLEKTIERTER
Ethnozentrismus) > interkulturelle Sensibilität: ist
die Fähigkeit, kulturelle Differenzen genau, hinreichend komplex und
nicht-wertend wahrzunehmen. > interkulturelle Kompetenz: ist
eine um die kulturelle Komponente erweiterte Form von sozialer Kompetenz. i.K.
ist Kommunikations- und Handlungsfähigkeit in kulturellen
Überschneidungssituationen, also die Fähigkeit, mit Angehörigen einer anderen
Kultur zur wechselseitigen Zufriedenheit unabhängig, kultursensibel und
wirkungsvoll interagieren zu können.
VERMEIDEN:
„Wir sind besser als sie“ (Bevorzugung der Eigenkultur bei
gleichzeitiger Abwertung der Fremdkultur), sondern: „Sie haben ANDERE Sitten
und Gebräuche“ (aus dem ANDERSSEIN keine HIERARCHISCHEN UNTERSCHIEDE
konstruieren!).
Dritt-Kultur-Perspektive: Jene besondere Haltung innerhalb des interkulturellen Lernens, in der die Beteiligten gegenüber der Differenz von eigener und fremder Kultur gleichsam einen "dritten" Standort einzunehmen versuchen, um von diesem die Differenz besser mit Distanz in den Blick nehmen zu können.
Das
Fremde kann aber auch Neugier wecken und als Verlockung, ja sogar als
Herausforderung empfunden werden, und zwar insbesondere dann, wenn das Eigene
als ungenügend oder unbefriedigend bewertet wird (vgl. Germanen bei Tacitus
bzw. außereuropäische Ethnien bei Montaigne und Georg Forster)
Kennzeichen
von Ethnozentrismus:
(1) Positive
Endonyme und negative, pejorative Exonyme: vgl. Inuit = „eigentliche
Menschen“ vs. Esquimantsic / Eskimo = „Rohfleischfresser“, wegen deren „abstoßender“
Gewohnheit, Fisch und Fleisch roh zu verzehren). Kiowa = "wirkliche /
eigentliche Menschen", Sami = "Menschen" / "menschliche
Wesen". Die Grönland-Eskimos glaubten, daß die Europäer nach Grönland
geschickt worden sind, um von ihnen Tugend und richtiges Benehmen zu erlernen.
Das höchste Lob, das sie einem Europäer spenden können, besteht darin, diesem
zu sagen, daß er bereits so gut wie ein Grönländer ist oder bald sein wird.
Auch die Tungusen nennen sich selbst „Menschen“. Die anderen werden oft
als nicht richtige Menschen angesehen. Die Ainu leiten ihren Namen vom ersten
mythischen Menschen ab, den sie auch als Gott verehren. Die Stammesbezeichnung
der Ovambo bedeutet „die Reichen“. Die Seri von Lower California misstrauen
allen Fremden und verhalten sich diesen gegenüber feindselig. Es ist auch
strengstens verboten einen Außenseiter zu heiraten. Die Juden bezeichneten sich
als „außerwähltes Volk“. Die Griechen nannten alle Fremden „Barbaren“; in
Euripides' Tragödie „Iphigenia in Aulis“ sagt Iphigenia, daß es
richtig sei, daß die Griechen die Barbaren regieren und nicht umgekehrt, denn
die Griechen seien frei, während die Barbaren Sklaven seien. 1896 gab der
chinesische Erziehungsminister ein Buch mit folgender Aussage heraus:
"Wie groß und ruhmvoll ist doch China, das Reich der Mitte! Es ist das
größte und reichste Land der Welt. Die größten Männer der Welt kommen alle aus
dem Reich der Mitte." In russischen Büchern und Zeitungen wurde die
zivilisatorische Mission Russlands hervorgehoben; nicht viel anders verhielt es
sich mit den Büchern und Journalen Frankreichs, Deutschlands und der
Vereinigten Staaten. Jeder Staat betrachtet sich selbst als Anführer der
Zivilisation, als der beste, freieste und weiseste, während alle anderen als
inferior bezeichnet werden[17].
(2) Ursprungsmythen: Gott habe die
Welt nur für das eigene Volk geschaffen.
(3)
Positiv gesehen
stärkt der E. die Gefühle bezüglich der eigenen Kultur und nicht nur das Ich
des betr. Individuums; darüber hinaus stärkt er die Bindungen des Ich zur
eigenen ethnischen Gruppe (fördert Integration und Anpassung an die Wir-Gruppe).
(4)
Das eigene Dorf, der
eigene Stamm bilden den Mittelpunkt des Universums. Strenge Unterscheidung
und Gegenüberstellung von Endosphäre und Exosphäre (Beispiel: Die
Sammler-Jägergesellschaft der Anak Dalam/Kubu von Sumatra kontrastieren ihre Dunia
dalam = „Innere Welt“ / Rimbo = Wald mit der Dunia terang =
„helle Welt“ der seßhaften Malaien). Dieser Sicht zufolge steht die eigene
Gruppe im Zentrum und alle anderen werden nur in Bezug auf die Eigengruppe
gesehen, eingestuft und bewertet.
(5)
Genealogien der Ursprungsmythen unterstreichen den Prioritätsanspruch der
eigenen Gruppe (Zugang zu Ressourcen ist nur den Stammesangehörigen
vorbehalten etc.)
(6) Desinteresse
– Missachtung von allem und jedem, was von den eigenen Selbstverständlichkeiten
abweicht
(7) Inferiorisierung
der ausgeschlossenen Anderen, i.e. die Tendenz, die eigenen Lebens-formen,
Normen, Wertorientierungen, Techniken, religiösen Überzeugungen und ästhetischen
Standards als die einzig natürlichen oder/und richtigen oder/und wahren
anzusehen (Vorurteile einer Wir-Gruppe gegenüber einer Sie-Gruppe). Daraus kann
dann ein Superioritätsbewusstsein resultieren (hohes Selbstwertgefühl),
ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber allen anderen Kulturen. Funktion der
ethnischen Vorurteile ist, durch gezielte Auswahl und Hervorhebung
bestimmter kultureller Besonderheiten sowie Leugnung und Mißachtung anderer
Informationen die Überlegenheit der eigenen ethnischen Gruppe glaubwürdig
erscheinen zu lassen. Kann, aber muß nicht in einer absoluten Geringschätzung
des Fremden, ja sogar Xenophobie münden = fundamentalistischer
Ethnozentrismus[18] (Gegenteil: „Defensiv-Ethnozentrismus).
In bezug auf die Außengruppen entwickelt diese Form des E. militaristische und
aggressive Tendenzen sowie das Bestreben der mehr oder minder gewaltsamen Verbreitung
der eigenen Kultur und Religion.
3.
Rechtfertigung der Verdrängung von Sammler-Jäger-Völkern durch die sesshaften
Bodenbauern (ab 11.000 Jahre v.u.Z.)
Aufgrund
der sog. neolythischen Revolution (Sesshaftwerdung + Züchtung von
Pflanzen und Tieren) und aus deren Expansionsbewegung (9.000 v.Chr. im Nahen
Osten, 5.000 v.Chr. in der Neuen Welt) resultierte das fortschreitende
Verschwinden von Sammlern und Jägern, die entweder gezwungen wurden, ihre
Subsistenzweise aufzugeben und seßhaft zu werden, oder langsam in marginale
ökologische Bereiche, die sich als ungeeignet für Ackerbau und Viehzucht
erwiesen, abgedrängt wurden. (Es konnten aber auch relativ fortgeschrittene
Ackerbaugesellschaften von anderen, ebenfalls Ackerbau treibenden Gruppen von den
Flußufern ins Hinterland abgedrängt worden sein und zu sekundären Sammlern und
Jägern geworden sein, wie z.B. im Fall der Guayaki, Tukana, Cashibo etc.
Südamerikas; Punan Borneos, Kubu /Anak Dalam Sumatras).
Tatsache
ist jedoch, daß diese nun seit ca.11.000 Jahren anhaltende Expansionsbewegung
der seßhaften Bodenbauern auf Kosten der Sammler und Jäger mit einer
Überlegenheitsideologie legitimiert wird. Die Seßhaften setzen dann im Namen
der „Überlegenheit“ ihres ökonomischen und sozialen Systems das „Recht“ durch,
diese Gesellschaften militärisch zu „befreien“ und sie zu „zivilisieren“ [19]. Aufgabe der Sozialanthropologie ist es daher die bis auf
das Neolithikum zurückgehenden und die Expansion der Agrikulturvölker rechtfertigenden
Vorurteile zu „entlarven“, denen zufolge die Sammler und Jäger sich permanent
am Rand des Existenzminimums befänden und ihr hartes Leben ganz vom Kampf um
die Sicherung des Lebensunterhaltes ausgefüllt sei, und durch das neue Bild der
„ursprünglichen Überflußgesellschaft“ zu ersetzen[20].
4.
Instrumentalisierung der Vorurteile im Rahmen der kolonialen Expansion (16. Jh.)
Im
Rahmen der Eroberung der Neuen Welt (Conquista) kollidieren zwei innerhalb der Kirche
entwickelte Rechtsauffassungen: Nach der Augustinischen Rechtsschule ist das
menschliche Recht direkt vom göttlichen Recht abgeleitet; m.a.W.: Ein Herrscher
in der Neuen Welt ist nur dann ein souveränes Oberhaupt, wenn seine Herrschaft
sowie das von Menschen ausgeübte Recht auf dem Christentum, der einzig
wahren Religion, gründen. Ein „heidnischer“ Herrscher wie auch die in diesem
Landstrich geltenden Gesetze können folglich nicht anerkannt werden. Die Thomas
von Aquin folgenden Thomisten unterscheiden menschliches und göttliches Recht,
wobei ersteres nicht mit letzterem begründet werden muß. Einheimische
(„heidnische“) Souveräne konnten demnach von Vertretern der thomistischen
Rechtsschule rechtlich anerkannt. Schließlich hat sich dann die zweite, radikalere
und ethnozentrischere augustinische Version durchgesetzt, da nur diese die
Legitimation für die Entmachtung der einheimischen Führer lieferte.
1537
erklärt Papst Paul III. in seiner Bulle Sublimus Deus, „daß die
Indianer/Wilden wirkliche Menschen sind; zwar sind sie noch nicht in der Lage
den katholischen Glauben zu verstehen, doch wünschen sie dringend, diesen
vermittelt zu bekommen.“ Ganz im Gegensatz zur Bulle dominierte der
Gedanke, daß die Indianer den Europäern absolut unterlegen wären. Die
Missionare verteidigten oft bis zu einem gewissen Grad die Indianer, während
Politiker und Geschäftemacher zu Hause, die die Indianer eher als Tiere denn
als Menschen betrachteten, beabsichtigten, die Indianer zu versklaven und ihres
Landes zu berauben[21]. Man darf aber eines nicht
vergessen: Hätte der Papst die Indianer der Neuen Welt NICHT als Menschen
erklärt, erübrigte sich auch eine christliche Mission in Lateinamerika!
Ethnisch-religiöse Vorurteile und Stereotype waren nicht nur in Europa, sondern
auch in der neuen Welt weit verbreitet. Entscheidend ist jedoch, daß mit dem
Beginn des Kolonialismus diese Vorurteile auf der europäischen Seite mit den
kolonialen Interessenskonstellationen aufs engste verknüpft sind. Eine
Überwindung dieser Vorstellungen kann daher nicht nur durch bloß moralische
Appelle oder theoretische Belehrungen geleistet werden, sondern (kurz- und
mittelfristig) nur durch eine Analyse der gesellschaftlichen Beziehungen, die
durch ungleiche Machtverteilungen gekennzeichnet sind, und à la longue durch
eine eine Beseitigung der bestehenden irrationalen Machtverhältnisse erfolgen
(Defizite des Bewußtseins = nicht nur das Resultat von Unwissenheit,
Selbsttäuschung und Täuschung. (1) Täuschung, (Unwahrheit) (2) Selbsttäuschung,
(3) (Interessen)
Bis in
die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden außereuropäische Völker als „savages“,
„barbarians“ oder „primitives“ bezeichnet. Erste Ansätze, sie als
Gleichwertige und Angehörige der Menschheit zu betrachten, gab es auf breiterer
Ebene erst im 18. Jh. (Aufklärung)[22].
Im 19.
Jh. waren die Europäer (bes. die Briten des viktorianischen Englands)
überzeugt davon, daß ihre westliche Kultur allen anderen Zivilisationen überlegen
sei. Das Verhalten und die Kultur der anderen wurden demnach nach den Maßstäben
der eigenen, als überlegen geltenden Kultur beurteilt[23].
Ein Begleitumstand des Kolonialismus ist der fundamendalistische
Ethnozentrismus, d.h. der Glaube, daß die eigene Kultur besser als
die der anderen sei. ETHNOZENTRISMUS wurde von England, Frankreich,
Niederlanden, Spanien und US-Amerika in den jeweiligen Kolonien praktiziert[24].
5.
Theorien zum Vorurteil / zur Ideologie im Verhältnis zur Beschäftigung mit
außereuropäischen Gesellschaften
Nach
Michel Montaigne (1533-92), dem skeptischen Relativisten („Que
sais-je?“) sind die Sitten und Gebräuche der eigenen Gesellschaft nicht mehr
oder weniger vernünftig als die der anderen. Montaigne vertritt Weltoffenheit
und religiöse Toleranz[25]. In seinem Essay über die
Kannibalen wendet er sich gegen der Terror der barbarischen Justiz der Christen
in Europa: „Ich meine, es ist barbarischer, einen Menschen lebendig
aufzufressen, als ihn tot aufzufressen; barbarischer, einen Körper, der noch
voll Empfindung ist, in Martern und Höllenqualen zu zerreißen, ihn langsam zu
rösten ... als ihn zu rösten und aufzufressen, wenn er schon hin ist.“[26]
Die Mächtigen der Christenheit rangieren demnach tiefer als die Menschenfresser.
Montaigne
antizipierte bereits im 16. Jh. den Kulturrelativismus. Es sei nur an
folgende Worte von Montaigne erinnert: "Gewöhnlich freilich wird
alles als Barbarei bezeichnet, was ungewohnt ist. Eigentlich lassen wir ja als
richtig und vernünftig nur das gelten, was in dem Lande, wo wir sind, vorkommt
und was zu den hier üblichen Anschauungen und Gebräuchen paßt."
Der
italienische Forscher Giambattista Vico (1688-1744) hat in seiner
„Scienza Nuova“ / „Neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker“
(1725) auch die ethnographische Literatur bearbeitet und die schriftlosen
Völker als den Europäern ebenbürtige Menschen die funktionierende
Gesellschaften und Kulturen aufbauen können und ihre Geschichte selbst machen,
beschrieben[27]. Im Gegensatz zur üblichen herren- und
Priestertrugslehre des 18. Jh. entspringen nach Vico „die für eine Periode
charakteristischen geistigen Vorstellungen aus dem gesellschaftlichen
Lebensprozeß, bei dem Natur und Menschen in Wechselwirkung stehen“[28].
Aus der Furcht (vor sich selbst) haben die Menschen die Götter geschaffen. Vico
geht davon aus, daß die Mythologie eine notwendige Vorform der Erkenntnis ist,
aus der unsere Wissenschaft entstanden ist: Die Menschen, so sagt er, „begannen
... ihrer natürlichen Neugier zu folgen, der Tochter der Unwissenheit und
Mutter der Wissenschaft, welche den menschlichen Geist aufschließt und dabei
das Staunen gebiert ...“[29]
François
Marie Arouet Voltaire (1694-1778) schuf den Slogan „écrasez l’infâme“
(etwa: „zerstört die Mythologien / den Aberglauben“). Voltaire zufolge haben
religiöse Vorurteile, Aberglauben, Kriege, Verbrechen und menschliche Torheit
oft den sozialen Fortschritt behindert, der dadurch eher das Resultat
glücklicher Umstände als von rationaler Planung ist[30].
Voltaire fordert von zivilisierten und aufgeklärten Monarchen praktizierte
Toleranz und religiöse Freiheit[31].
Für
den französischen Encyclopädisten Claude Adrien Helvétius (1715-1771)
sind die Vorurteile (préjugés) das notwendige Resultat des sozialen
Drucks und des egoistischen Interesses: „Unsere Ideen sind die notwendigen
Konsequenzen der Gesellschaften, in denen wir leben.“[32][32][32]
(Falsches Bewußtsein wird hier nicht – wie damals üblich - gleichgesetzt mit
einem willkürlichen Irrtum, sondern als gesellschaftlich notwendiges Resultat
gesehen, d.h. die objektive „Nötigung“ geht von der gesellschaftlichen
Organisation aus!). Damit überwindet er zumindest ansatzweise die Herren- und
Priestertrugtheorie der Aufklärung, die Vorurteile und falsches Bewußtsein auf
Machinationen und Betrug der Mächtigen zurückführt, und nimmt die Marx’sche
These von der objektiven Notwendigkeit der Ideologien („gesellschaftlich
notwendiger Schein“) und der Verankerung des Bewußtseins in den realen
gesellschaftlichen Bedingungen vorweg.
Zugleich
erkennt Helvétius auch die soziale Funktion der Vorurteile: Sie dienen der
Aufrechterhaltung ungerechter Zustände und verhindern die Verwirklichung des
Glücks sowie die Herstellung einer vernünftigen Gesellschaft: „Die
Vorurteile der Großen, schreibt Helvétius in „De L‘Esprit, sind die
Gesetze der Kleinen.“[33] Illusionslos konstatiert er ferner in
„De L’Homme“: „... die Erfahrung zeigt uns, daß fast alle Fragen der
Moral und der Politik durch Macht und nicht durch Vernunft entschieden werden.
Wenn die Meinung die Welt beherrscht, dann ist es auf Dauer der Mächtige,
welcher die Meinungen beherrscht.“[34]
Der Machtlosigkeit der Vernunft zum Trotz setzt Helvétius auf diese und geht
davon aus, daß die Vorurteile auf rationaler Basis identifiziert, durch die
Vernunft erschüttert und die überkommenen (hauptsächlich religiösen) Vorurteile
durch die Erziehung überwunden sowie durch die Einsicht in die wahre Natur des
Menschen und seiner Umwelt ersetzt werden könnten[35].
6.
Vorurteile
Zur
Analyse von Vorurteilen und Stereotypen bedarf es nach Horkheimer und Adorno
sozialpsychologischer Methoden, denn: „Die großen
gesellschaftlichen Bewegungsgesetze walten ja nicht bloß über den Köpfen der
Einzelnen, sondern vollziehen sich immer zugleich auch durch die Einzelnen
selber hindurch. Dem Anteil des Psychologischen an diesem Kräftespiel zwischen
Gesellschaft und Einzelmensch galten die Forschungen über das Vorurteil.“[38]
Definition:
„Vorurteile sind falsche stereotype Meinungen – zumeist über
Personen und Personengruppen - , die mit großem psychischen Energieaufwand auch
gegen bessere Erfahrung meist deshalb festgehalten werden, weil sie eine
Scheinorientierung ermöglichen: Die Welt wird klar und übersichtlich, hier, wo
man selbst steht, sind die – im Prinzip jedenfalls – Guten, dort die – im
Prinzip jedenfalls – Bösen.“[39]
Im
folgenden Textabschnitt beziehe ich mich auf die ausgezeichnete Studie der
deutschen Sprachwissenschaftlerin Uta Quasthoff mit dem Titel „Soziales
Vorurteil und Kommunikation. Eine sprachwissenschaftliche Analyse des
Stereotyps.“. Diese aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts stammende
Analyse, die den damaligen Forschungsstand zusammenfaßte und kritisch sichtete,
ist bis heute unübertroffen und hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.
Vorurteile
sind nicht angeboren: „Vorurteile entstehen im 4./5. Lebensjahr des
Kindes, bzw. – vorsichtiger ausgedrückt – vor diesem Zeitpunkt lässt sich kein
vorurteilsartiges Reagieren bei kindlichen Vpn. Feststellen. Der Beginn der
Entwicklung von sozialen Vorurteile fällt also zusammen mit der Phase, in der
sich nach der Freudschen Theorie durch Identifikation mit den Eltern beim Kind
das Über-Ich herausbildet“.[41]
Vorurteile
werden weniger durch direkte, persönliche Kontakte, sondern in stärkerem
Ausmaß über die INDIREKTEN, über VORBILDER, ELTERN, ERZIEHER und über MEDIEN
vermittelten Erfahrungen gebildet und geformt: „Die Vorurteile der Kinder
entstehen nicht durch entsprechende Erfahrungen mit Angehörigen der inkriminierten
Gruppe, sondern durch Kontakt mit Personen – meist Eltern, seltener Lehrer
oder Mitglieder der peer-group – die solche Vorurteile haben und sie in Sprache
und Verhalten äußern. ...“[42] Vgl. dazu die Untersuchung
Allport’s, der das Beispiel von Kindern einer 5. Klasse anführt, die täglich
Kontakt mit chinesischen Altersgenossen haben und sich dennoch ihr Chinesenbild
anhand von Filmen, Geschichten über China und Karikaturenserien“ bildeten.
Stereotypmuster
nach dem Modell der Erwachsenen entwickeln sich erst im Alter von ca. 9 Jahren:
„Die Ergebnisse der Vorurteilsforschung an Kindern ... lassen sich wie folgt
zusammenfassen: Spätestens im Alter von 9 Jahren beginnen die Kinder, die Muster
von „Stereotypen“ zu entwickeln, die ihnen von den Erwachsenen vorgegeben sind.
Die Tendenz, Weiße den Schwarzen vorzuziehen, lässt sich in sehr viel früherem
Alter feststellen, obwohl man auf der Altersstufe von 3 bis 4 Jahren noch nicht
von der Existenz von Vorurteilen sprechen kann. Die rassischen Präferenzen, die
in Tests zum Vorschein kommen, haben noch keine Konsequenzen im Verhalten der
jeweiligen Fremdgruppe gegenüber. Das Zurückziehen von Angehörigen der anderen
Gruppe beginnt viel später und erreicht seinen Höhepunkt ungefähr auf der
Altersstufe von 10 Jahren.“[43]
(1) Es ist kein
sicherer Beweis vorhanden, daß Angehörige höherer sozialer Schichten weniger
Vorurteile haben. Vielfach ist es eher umgekehrt.
(2) Der Einfluß von
Bildung ist am stärksten und systematischsten bei Personen aus den unteren
Schichten zu belegen.
Für den
Abbau von Vorurteilen spielt die persönliche Erfahrung leider nur
eine geringe Rolle: „Die persönliche Erfahrung des einzelnen spielt bei
der Herausbildung feindlicher Einstellungen gegenüber Fremdgruppen und der mit
ihnen verbundenen ‚Stereotype’ keine oder nur eine sehr geringe Rolle, ...“[45]
„Das
Problem der Auswirkungen individueller Erfahrungen auf den Abbau sozialer
Vorurteile lässt sich beschränken auf die Frage, inwieweit persönliche Kontakte
mit Angehörigen der Fremdgruppe als die direkteste Form persönlicher Erfahrung
eine Einstellungsänderung gegenüber der ganzen Gruppe auslösen kann. ...
(Resumée), daß sachliche Aufklärung über die Eigenart von Fremdgruppen,
das „Widerlegen“ von Vorurteilen durch Gegeninformation allein
wirkungslos bleibt. Etwas erfolgreicher sind Versuche interkultureller
Erziehung, sofern sie Kontakte mit Angehörigen der entsprechenden Minderheit
einschließen, so daß man mit Recht den persönlichen Kontakt als den
einflussreichsten Faktor annehmen kann.“[46]
In bezug
auf die Rolle persönlicher Kontakte kann man jedoch die folgende Verallgemeinerung
machen:
„Lockere
Kontakte verstärken, enge Kontakte verringern im allgemeinen soziale
Unterschiedliche
Auswirkungen der Kontakte am Arbeitsplatz auf die Vorurteilsbildung: „Gerade
der Kontakt am Arbeitsplatz birgt jedoch ein Gefahrenmoment in sich, das
nach Möglichkeit bei allen interethnischen Kontakten ausgeschlossen werden sollte,
um die Erfolgschancen zu erhöhen: Die Mitglieder verschiedener ethnischer
Gruppen, die man einander näher bringen will, sollten nicht nur den gleichen
Status haben, sie dürfen sich auch nicht in einer Situation der Konkurrenz oder
gegenseitigen Bedrohung befinden.“[48]
Bedingungen
für den Abbau von Vorurteilen durch Kontakte:
(a) Das
Verhalten der von Vorurteilen betroffenen Fremdgruppe darf die gängigen
Stereotype nicht bestätigen
(b) Kontakte müssen
häufig und eng genug sein (um ein Gegengewicht gegen die vorurteilsbedingte
Verzerrung in der Wahrnehmung und Erinnerung darstellen zu können. Mit dieser
Forderung trägt man dem sog. „selektiven Filter der Wahrnehmung“ Rechnung, der
vorurteilsvolle Personen nur das sehen lässt, was ihr Vorurteil bzw. die damit
einhergehenden negativen „Stereotype“ bestätigt. Wegen dieses psychologischen
Mechanismus dürfte auch der lose und eingeschränkte Kontakt mit fremden Ethnien
und Nationen innerhalb des modernen Tourismus leider kaum zur Verminderung von
Vorurteilen beitragen)[49]
Hypothesen
zum West-Ost-Gefälle der Vorurteile aufgrund der auffallend negativen Beurteilungen der
Russen, Polen, Tschechen, Türken etc.:
(a) negative
Bewertung der Türken: möglicherweise, da sie in Europa Jahrhunderte lang die
Bedrohung der christliche Welt symbolisierte;.
(b) negatives
Russenbild dominiert unter den „westlichen“ Nationen;
(c) ähnliches lässt
sich bezüglich des negativen Polenbildes sagen;
(d) weniger eindeutig negativ ist die Bewertung der Chinesen: Schlagwort der „Gelben Gefahr“ ist erst um die Jahrhundertwende entstanden (1895, Kaiser Wilhelm II.[50]
Sozio-ökonomische
Faktoren bei der
Vorurteilsbildung und –änderung:
„Der Ausbeutungsakt kommt zuerst; das Vorurteil folgt!“ Die Wurzel der Diskriminierung gegenüber den Schwarzen in den USA liegt demnach in der Tradition der ökonomischen Ausbeutung.[51]
FUNKTION von Vorurteilen
(1) Sündenbock-Theorie:
Ablenkung von Aggressionen auf schwache, an den eigentlichen Ursachen der
Aggressionen schuldlosen Minderheiten oder Einzelpersonen (Frustration erzeugt
Aggression à Aggression wird auf
verhältnismäßig wehrlose „Sündenböcke“ verschoben. à Diese verschobene Feindlichkeit wird
rationalisiert und gerechtfertigt durch Beschuldigung, Projektion und
Stereotypisierung.
(2) Projektion
persönlichen Fehlverhaltens à
Aggression à Verschiebung (nach dem Prinzip:
„Ich tadle an der Fremdgruppe das, was ich in mir selbst abwehre, und ich tadle
umso strenger, je stärker ich selbst unterdrücken muß.“ (d.h. verbotene Wünsche
und Eigenschaften werden auf andere übertragen und dort umso härter bestraft = Extrapunitivität;
besonders auf Gruppen projiziert, die den Triebverzicht (angeblich) nicht
leisten).[52]
Die sozialen Vorurteile sind immer nur für die Mächtigen praktisch. Daher sollte man nach dem Zusammenhang von sozialen Vorurteilen / Stereotypen und Macht fragen (s.o. Helvétius!)[53]
Rassistische
Ideologien sind
Ausdruck eines verschärften Klassengegensatzes und treten besonders in Epochen
eines geschichtlichen Umbruchs auf[54]
Studie Theodor W. Adornos und seiner Mitarbeiter[55] über den autoritären Charakter[56]:
Im
Mittelpunkt der Studie standen „Reize“, „allgemeine politische Ansichten“ und
„private Charakterzüge“: Herausarbeiten und Untersuchung von „Reizen“,
mit den Agitatoren, v.a. die dezidiert totalitären, arbeiten, um Menschen
einzufangen. Dabei wurde unterstellt, daß diese Reize recht genau den Neigungen
und Verhaltensweisen jener Typen entsprechen, die aufgrund ihrer Psychologie in
besonderem Maße als Gefolgschaft in Frage kommen. Parallel dazu sind zahlreiche
Personen daraufhin untersucht worden, ob zwischen ihren allgemeinen politischen
Ansichten, ihrer Stellung zu ethnischen, sozialen und religiösen Minderheiten
einerseits und privaten Charakterzügen andererseits eine Beziehung besteht und
wie sie, wenn sie sich bestätigt, zu verstehen ist.[57]
Ergebnisse:
Denk-
und Verhaltensmuster:
Die
tatsächliche oder vermeintliche Bedrohung des eigenen sozialen Status und der
kulturellen Identität sind wichtige Motive für die Abwertung und den Hass gegen
Minderheiten. Typischerweise sind die Sündenböcke Angehörige von Gruppen mit
niedrigem sozialen Status, die noch ärmer, noch machtloser sind als man sich
selbst fühlt.
Ursache
der Entstehung des autoritären Charakters und der mit diesem verbundenen ethnozentristischen
Einstellungen ist, laut Adorno ein bestimmter Typ der Sozialisation,
wobei die Eltern besonderen Wert auf Erfolg, Karriere und Disziplin
legen.
[1] Feyerabend, Paul: Erkenntnis
für freie Menschen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1980 |
|
[2] Creveld, Martin van: Die
Zukunft des Krieges. München 1998:45ff. (Original: The
Transformation of War. The Free Press: |
|
[3] Creveld hinterfragt vor allem
des sogenannte trinitarische Schema, die archaische Dreigliederung
"Staat – Armee – Volk", welche das militärische Denken auch heute
noch maßgeblich bestimmt. Die Clausewitz’sche Gedankenwelt beruhte nach
Meinung Crevelds auf der Annahme, daß vorwiegend Staaten, oder genauer,
Regierungen, Krieg führen (Trinität aus Volk, Heer und Regierung). |
|
[4] „Der“ (?) Islam – so Creveld - breite
sich als Weltreligion am schnellsten aus. Gewiß gibt es dafür viele Gründe,
doch nach Creveld etwas einseitiger Sichtweise breite sich der Islam vor
allem wegen seiner Militanz zusehends aus. |
|
[5] Der Ayodhya-Konflikt ist
ein Konflikt, der schon länger schwelt, auch wenn er erst in den letzten
Jahren (etwa Anfang der 90er Jahre) zunehmend in der internationalen Presse
Schlagzeilen gemacht hat. Im Grunde geht es darum, daß in Ayodyha eine
Moschee steht, die für die Muslime sehr wichtig ist, während viele Hindus
behaupten, daß diese Moschee auf einem Hindu-Tempel erbaut wurde, der für sie große Bedeutung hat (Parallelen mit Tempelberg
in Jerusalem!). Die Vertreter beider Glaubensgruppen instrumentalisieren die
Geschichte für sich, wie immer, wenn es ethnisch, nationalistisch oder
religiös motivierte Auseinandersetzungen gibt. Das, was im geschichtlichen
Prozeß mit der eigenen Interpretation nicht übereinstimmt, wird ausgelassen
oder abgeändert. Dazu der französische Sozialanthropologe Maurice Godelier: „Die
Geschichte erklärt nichts, sie ist das zu Erklärende.“ Erst wenn man
einen Schritt zurückweicht und sich aus der so gewonnenen Distanz nochmals
der Geschichte nähert, kann man aus ihr - unter Einschluss der
Kolonialgeschichte – neue Einsichten gewinnen. Beschäftigt man sich mit der
Kolonialgeschichte Indiens, dann kann man sehen, wie die Briten rund um den
schon damals aufgebrochenen Ayodya-Konflikt ihre Position gestärkt haben,
indem sie – nach dem Prinzip des „divide et impera“ - einmal die einen,
einmal die anderen unterstützt haben. Zudem konnten sie dadurch die
beherrschte Bevölkerung als ständig streitend darstellen, bis die Bevölkerung
selbst daran glaubte. Danach konnte sich die über allem stehende Kolonialmacht
als neutrale Instanz präsentieren. Kurz: Dieser Konflikt kam nicht ohne Zutun
der Kolonialmacht zustande und ist unter massivem Zutun der
Kolonialherrschaft zu dem geworden ist, was er heute ist (Ein wichtiger
Faktor war auch die Teilung des Vize-Königreichs Indien in die Staaten Indien
und Ost- bzw. Westpakistan im Jahr 1949) [Nach einer Vorlesung von Prof.
Gingrich, Inst. f. Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie, Wien] |
|
[6] Die Vergewaltigung von
überwiegend chinesischen Frauen in Jakarta bei den blutigen Unruhen Mitte Mai
1998 werden von mehreren Kommissionen untersucht. Präsident Habibie hat sie
schärfstens verurteilt. Was in der Hauptstadt auf einige Tage beschränkt war (die
Zahl der Opfer wird auf mehr als 160 Frauen geschätzt, die meisten wurden
mehrfach und in aller Öffentlichkeit mißbraucht), ist in der weit entfernten
früheren portugiesischen überwiegend katholischen Kolonie Ost-Timor mehr als
20 Jahre beinahe regelmäßig vorgekommen, seit 1975 indonesische Uniformierte
einmarschierten. |
|
[7][7][7]
In seinem Vortrag vom 26.20.1995 zum Thema "Megatrends Asien" wies
John Naisbitt auf die bedeutende Rolle der Auslandschinesen hin. Die
57 Millionen Auslandschinesen bilden die drittgrößte Wirtschaftsmacht der
Welt. Das Bruttoinlandsprodukt dieses Netzwerkes liegt zwischen 2 und 3 Bio.
Dollar. In mehreren Ländern Asiens kontrollieren Auslandschinesen einen
großen Teil des Kapitals – mehr als man auf Grund ihrer Zahl annehmen würde.
Auslandschinesen dominieren in allen ostasiatischen Ländern mit Ausnahme
Koreas und Japans den Handel und die Investitionstätigkeit. In Malaysia
stellen sie 30% der Bevölkerung, kontrollieren aber zu mehr als 50% die
Wirtschaft. In Indonesien sind nur 4% der Bevölkerung Chinesen, doch
kontrollieren dies 70% der Wirtschaft. In Thailand
kontrollieren 3% Chinesen 60% der Wirtschaft, auf den Philippinen
kontrollieren 4% Chinesen 70% der Wirtschaft. |
|
[8][8][8]
Chinesenprogrome hat es in Indonesien auch früher immer wieder
gegeben. Bereits im Oktober 1740 wurden innerhalb
von 3 Tagen 5.000 – 10.000 Chinesen in Batavia (= kolonialer Name Jakartas)
von niederländischen Kolonisten ermordet, nachdem sich Chinesen außerhalb (!)
Batavias gegen ihre Versendung als Sklavenarbeiter nach Sri Lanka zur Wehr
gesetzt hatten. Die in Indonesien regierende niederländische
Handelsgesellschaft (VOC) zahlte sogar für jeden enthaupteten Kopf eine
Belohnung. Danach durften die überlebenden Chinesen nur in für sie bestimmten
Vierteln leben (z.B. Glodok in Batavia). Im Gefolge der Unruhen
während des Sturzes von Sukarno im Jahr 1965 war die als kommunistenfreundlich
geltende chinesische Minderheit blutiger Verfolgung ausgesetzt. Die Urgründe
der tief verwurzelten Ressentiments reichen jedoch bis in die ferne
Vergangenheit. Wie die Engländer in Indien oder die Spanier auf den
Philippinen hatten auch die Holländer mit einer Politik des "teile und
herrsche" Minderheiten favorisiert. Im holländischen Ostindien dienten
Chinesen den Kolonialherren als Händler und Finanziers. Dafür erhielten sie
wirtschaftlich einträgliche Privilegien, die den Einheimischen vorenthalten
wurden. |
|
[9][9][9]
Indirekt durch einen Krieg ausgelöst: 1990 wurden 800.000 jemenitische
Gastarbeiter von Saudi-Arabien ausgewiesen, nachdem die jemenitische
Regierung im Golfkrieg den Irak unterstützte. |
|
[10][10][10] Barth, Frederik (ed.): Ethnic Groups and Boundaries. The Social
Organization of Culture Difference. |
|
[11][11][11]
Kritisch bleibt jedoch festzuhalten, daß im Gegensatz zur
„primordialistischen“ Position hier i.d.R. die instrumentalistisch-rationalen
und situationalen Aspekte der ethnischen Identität zu sehr betont werden. |
|
[12][12][12] Kingsley, a.a.O. 525 |
|
[13][13][13]
Wallerstein, Immanuel: Das moderne Weltsystem, Bd. I: Die Anfänge kapitalistischer
Landwirtschaft und die europäische Weltökonomie im 16. Jahrhundert.
Frankfurt/Main 1986; Wallerstein, Immanuel: Das moderne Weltsystem,
Bd. II: Der Merkantilismus, Europa zwischen 1600 und 1750. Wien 1998 |
|
[14][14][14]
Appadurai, Arjun: Modernity at Large: Cultural
Dimensions of Globalization. |
|
[15][15][15]
Devereux, Georges: Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften.
Frankfurt a. Main: Suhrkamp 1988 |
|
[16][16][16]
KULTURRELATIVISMUS: Die Doktrin, nach der kulturelle Phänomene nur in ihrem
eigenen Kontext verstanden, beurteilt und bewertet werden können. Der
Kulturrelativismus ist eine Variante des Historismus, der die gleiche
Forderung für historische Epochen erhebt. Er wendet sich gegen den
Evolutionismus, dem er die ungerechtfertigte Anwendung externer, aus der
europäischen Wissenschaft stammender Maßstäben auf fremde Kulturen vorwirft
(Ethnozentrismus). Der Kulturrelativismus hängt mit der Auffassung fremder
Kulturen als Ganzheiten (Holismus) zusammen, die ihrerseits ein Leitprinzip
der ethnographischen Feldforschung darstellt. In seiner Extremform verzichtet
er auf jede Bewertung fremdkultureller Phänomene und damit auf jede
Rechtfertigung für handelndes Eingreifen in fremde Kulturen. Hauptvertreter
waren Westermarck, Boas und v.a. M.J. Herskovits. Erst der
Kulturrelativismus, der etwa zwischen 1920 und 1950 die ethnologische
Forschung dominierte, schuf die Grundlagen für das kontextbezogene Studium
soziokultureller Phänomene. Die
ethnologische Analyse soll die einheimischen Begriffe und Wertsetzungen der
fremden Kultur verwenden. Ferner wird jede Kultur als ein einmaliges, in sich
geschlossenes System, betrachtet. Alle Kulturen werden als gleichwertig
angesehen. Bewertungen von außen sind aufgrund des Fehlens universaler
Maßstäbe nicht zulässig. Im Rahmen dieser Betrachtungsweise ist alles,
was die Menschen einer Kulturgruppe tun, nur aus der betreffenden Kultur
selber heraus zu verstehen, da nicht vergleichbar mit Phänomenen anderer
Kulturen. Letztendlich löst sich in diesem radikalen Relativismus Kultur in
lauter nicht mehr vergleichbare „Einzelzüge“ auf, die nur durch Rekurs auf
das einzigartige Kulturganze verständlich sind. Diese radikale
kulturrelativistische Position verhindert damit jeden systematischen
interkulturellen Vergleich. |
|
[17][17][17]
Vgl. Sumner, William Graham: Folkways: The Sociological Importance of
Usages, Manners, Customs, Mores, and Morals. New York: Ginn and Co.
1906:13; nach Sumner ist Ethnozentrismus der “view of things in which
one’s own group is the center of everything, and all others are scaled and
rated with reference to it.” |
|
[18][18][18]
Fundamentalismus: Die Überzeugung, daß es nur eine
Wahrheit gibt, und daß die eigene Gruppe im Besitz dieser Wahrheit
ist, die dann meistens bis ins kleinste Detail definiert und den anderen
mit Druck und/oder Gewalt aufgezwungen wird. |
|
[19][19][19]
Godelier, Maurice: Ökonomische Anthropologie. Untersuchungen zum Begriff
der sozialen Struktur primitiver Gesellschaften. |
|
[20][20][20]
Sahlins, Marshall: Notes on the Original Affluent Society. In: Lee, R.B . /DeVore, |
|
[21][21][21]
Waal Malefijt, Annemarie: Images of |
|
[22][22][22]
Haviland, William A.: Anthropology. |
|
[23][23][23] Haviland, a.a.O. 275-278 |
|
[24][24][24] Haviland, a.a.O. 579-580 |
|
[25][25][25]
Waal Malefijt, a.a.O. 46; vgl. Horkheimer: Anfänge der bürgerlichen
Geschichtsphilosophie. Frankfurt a. M., Hamburg: Fischer 1971:113 |
|
[26][26][26]
Horkheimer: a.a.O. 113 |
|
[27][27][27]
Horkheimer, a.a.O. 76, 78 |
|
[28][28][28]
Horkheimer, a.a.O. 78 |
|
[29][29][29]
zit. nach Horkheimer, a.a.O. 77 |
|
[30][30][30]
|
|
[31][31][31]
Waal Malefijt, a.a.O. 83 |
|
[32][32][32]
De L’Esprit, zit. nach Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Soziologische
Exkurse. Frankfurt a.M.: Europäische Verlagsanstalt 1972:165 |
|
[33][33][33]
Vorurteile sind immer für die Mächtigen praktisch (Vorurteile àß Macht) |
|
[34][34][34]
zit. nach Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Soziologische Exkurse. Frankfurt
a.M.: Europäische Verlagsanstalt 1972:164 |
|
[35][35][35]
Lichtheim, Georg: Das Konzept der Ideologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1973:15f;
vgl. dazu die Marx’sche Kritik an diesem aufklärerischen Ansatz, ebda 15, fn.
19: „Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der
Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der
Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie muß daher die Gesellschaft in zwei
Teile – von denen der eine über ihn erhaben ist – sondieren.“ („Thesen
über Feuerbach“) |
|
[36][36][36]
„Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ (1784-1791) |
|
[37][37][37]
Waal Malefijt, a.a.O. 1970:99f |
|
[38][38][38]
Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Soziologische Exkurse. Frankfurt
a.M.: Europäische Verlagsanstalt 1972:152 |
|
[39][39][39]
Acham, Karl: Vernunft und Engagement. Sozialphilosophische Untersuchungen.
Wien: Europaverlag 1972:25 |
|
[40][40][40]
Quasthoff, Uta: Soziales Vorurteil und Kommunikation. Eine
sprachwissenschaftliche Analyse des Stereotyps. Frankfurt/M.:
Fischer-Athenäum 1973:28 |
|
[41][41][41]
Quasthoff a.a.O. 53 |
|
[42][42][42]
Quasthoff a.a.O. 61 (Hervorhebungen von mir, H.L.) |
|
[43][43][43]
Quasthoff a.a.O. 56f |
|
[44][44][44]
Quasthoff a.a.O. 61-63 |
|
[45][45][45]
Quasthoff a.a.O. 70 |
|
[46][46][46]
Quasthoff a.a.O. 71 |
|
[47][47][47]
Quasthoff a.a.O. 75 (Hervorhebungen von mir, H.L.) |
|
[48][48][48]
Quasthoff a.a.O. 77 |
|
[49][49][49]
Quasthoff a.a.O. 80f |
|
[50][50][50]
Quasthoff a.a.O. 87-89 |
|
[51][51][51]
Quasthoff a.a.O. 96-98 |
|
[52][52][52]
Quasthoff a.a.O. 117-119 |
|
[53][53][53]
Quasthoff a.a.O. 128 |
|
[54][54][54]
Quasthoff a.a.O. 137 |
|
[55][55][55] Adorno,
Frenkel-Brunswik, Levinson und Sanford (1950) waren eine Gruppe exilierter
Mitglieder der sog. Frankfurter Schule, die nach dem Krieg in den USA
herausfinden wollten, wie die Verfolgung von Juden und anderen Minderheiten
in einem zivilisierten Land zustande kommen konnte. |
|
[56][56][56]
Das sind Menschen, die ein Oben und ein Unten brauchen, ein Oben, das ihnen
Befehle gibt, und ein Unten, an dem sie sich abreagieren und auf das sie treten
können. |
|
[57][57][57]
Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Soziologische Exkurse. Frankfurt
a.M.: Europäische Verlagsanstalt 1972:152f |